Wird dieser E-Lkw zum Dieselkiller?

Mercedes hat die Serienversion eines E-Lkw für schwere Lasten und lange Strecken vorgestellt. Doch die Branche steht noch vor Herausforderungen.

Beinahe lautlos über die Autobahnen rauschen, am lautesten sind die Geräusche der Reifen: Was bei E-Autos schon länger möglich ist, soll auch die Lkw-Branche revolutionieren. Lange scheiterte der elektrisch betriebene Schwerlastverkehr auf Langstrecken an den fehlenden technischen Möglichkeiten. Doch am Horizont zeichnet sich der Wandel ab: Immer mehr Lkw-Hersteller stellen elektrische Modelle vor, die akzeptable Reichweiten vorweisen können.

Eines davon hat Mercedes heute vorgestellt: Der E-Actros 600 fährt mehr als 500 Kilometer weit. Den Beweis für sein Können hat er vor einigen Tagen erbracht: Ein Prototyp hat die Strecke von Stuttgart über den Albaufstieg am Aichelberg, Kufstein und die Brennerautobahn bis nach Bozen in Südtirol ohne Stopp an der Ladesäule geschafft – 530 Kilometer in knapp sieben Stunden. Den Rückweg meisterte der 40-Tonner mit 400 kW/544 PS Dauerleistung ebenfalls ohne Ladepause. Damit scheint zumindest der Punkt der fehlenden Reichweite ausgeräumt zu sein. Der Verkauf des schweren E-Actros startet in diesem Jahr, die Serienproduktion soll Ende 2024 anlaufen. Damit ist Daimler Truck nicht allein: Konkurrent MAN hat ebenfalls einen E-Truck in Planung, der im kommenden Jahr auf den Markt kommen und ähnliche Reichweiten bieten soll.

Für die Langstrecke: Auch MAN arbeitet am Akku-Lkw mit hohen Reichweiten.
Für die Langstrecke: Auch MAN arbeitet am Akku-Lkw mit hohen Reichweiten. (Quelle: MAN)

E-Lkw gibt es seit mehreren Jahren, auch bei Daimler Truck: Mit 300 bis 400 Kilometern waren diese Varianten des E-Actros zwar für längere Strecken geeignet, doch angepriesen wurden sie vor allem für den sogenannten Verteilerverkehr, beispielsweise vom Zentrallager bis zu einem Supermarkt.

Weniger Lärm, weniger Emissionen

Neben dem geringeren Lärm durch dröhnende Diesel-Lkw spielt vor allem der Umweltaspekt eine entscheidende Rolle beim Umstieg auf E-Antriebe: Ein Verbrenner-Aus, so wie bei Pkw für 2035 festgeschrieben, gibt es bei Nutzfahrzeugen nicht. Doch das könnte nur eine Frage der Zeit sein, blickt man nur auf die Treibhausgasemissionen in Deutschland seit 1990: Während sie insgesamt stark gesunken sind, gab es im Verkehrssektor bisher kaum eine Verbesserung.

Der Schwerlastverkehr spielt dabei eine große Rolle: Zwar sind weniger als zehn Prozent der Nutzfahrzeuge in Deutschland schwere Lkw mit 40 Tonnen Gewicht, und deren Motoren, Abgastechnik und Kraftstoffqualität deutlich besser geworden. Doch die Fahrleistung der Lkw stieg zwischen 1995 und 2021 von 47,8 Milliarden auf 64,3 Milliarden Kilometer – ein Zuwachs von gut einem Drittel. Die Schwerlastflotte bringt somit rund 25 Prozent aller Fahrzeugkilometer und etwa 50 Prozent der Treibhausgasemissionen des Straßengüterverkehrs zusammen, heißt es vom Umweltbundesamt. Die absoluten CO2-Emissionen im Betrieb des Straßengüterverkehrs erhöhten sich demnach zwischen 1995 und 2021 trotz technischer Verbesserungen um 23 Prozent.

Das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung formuliert das Ziel, dass bis 2030 ein Drittel der Fahrleistung im schweren Straßengüterverkehr elektrisch sein soll. Die EU hat bereits beschlossen, dass Nutzfahrzeughersteller bis 2025 ihren Flottenverbrauch um 15 und bis 2030 um 30 Prozent senken müssen. Möglicherweise wird dies noch verschärft. Die Ampelkoalition in Deutschland will ab dem kommenden Jahr die Lkw-Maut vom CO2-Ausstoß abhängig machen.

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Tesla Semi: Der Getränkekonzern Pepsi hat eine Flotte der E-Lkw in Betrieb. (Quelle: IMAGO/Hector Amezcua/imago)

Die Lkw-Hersteller sind also gefragt, wenn sie das Geschäft mit schweren Elektro-Lkw nicht verschlafen wollen – bevor die ersten Verbrennerverbote für Lkw drohen oder ihre Kunden, die Transportunternehmen, ordentlich draufzahlen müssen. Schon bei den elektrischen Autos waren viele deutsche Hersteller lange untätig, bis sie von Konkurrenten wie Tesla aufgescheucht wurden. Und auch bei den dicken Trucks prescht Tesla-Boss Elon Musk mit dem Semi genannten Lkw vor. Hier sind Testfahrzeuge unter anderem für den Getränkeriesen Pepsi unterwegs und legten bei Versuchsfahrten bis zu 1.700 Kilometer am Tag zurück.

Mit Mega-Akkus gegen die Konkurrenz – das hat seinen Preis

Die Batterie des E-Actros fasst 621 Kilowattstunden Strom, aufgeteilt auf drei Batteriepakete à 201 kWh. Zum Vergleich: Das E-SUV ID.4 von VW bietet gerade einmal 77 kWh. Technisch setzt der Hersteller anders als die Konkurrenz auf die neue Lithium-Eisenphosphat-Zelltechnologie (LFP), die haltbarer als die Lithium-Ionen-Technologie und auch gut geeignet fürs Highspeed-Laden sein soll. Die Entwicklung war aufwendig, soll nun aber serienreif sein. Mercedes-Benz Trucks verspricht, dass der E-Actros 600 für dieselben Anforderungen an die Dauerhaltbarkeit ausgelegt sein soll wie ein Diesel-Lkw. Das bedeutet: 1,2 Millionen Kilometer Laufleistung in zehn Betriebsjahren.

Das Geschäft stehe erst am Anfang, doch die Nachfrage beginne zu wachsen, erklärte Karin Rådström, Chefin von Mercedes-Benz Trucks und damit der Region Europa des Lkw-Bauers: „Ich bin optimistisch.“ Aktuell hat das Ganze jedoch seinen Preis. Der batterieelektrische Laster koste in der Anschaffung zwar mindestens doppelt so viel wie das Pendant mit Diesel-Antrieb (der kostet circa 100.000 Euro). Doch das soll sich auszahlen: In Deutschland und Frankreich etwa könne der E-Lkw innerhalb der durchschnittlichen Haltedauer des Fahrzeugs von etwa fünf Jahren beziehungsweise nach etwa 600.000 Kilometern profitabler als ein Diesel-Fernverkehrs-Lkw sein.

Unter Hochspannung: Der E-Actros 600 wird neben dem CCS-Laden mit bis zu 400 kW später auch das Megawattladen (MCS) ermöglichen. Die Batterien können an einer entsprechenden Ladesäule mit etwa einem Megawatt Leistung in ca. 30 Minuten von 20 auf 80 Prozent aufgeladen werden.
Unter Hochspannung: Der E-Actros 600 wird neben dem CCS-Laden mit bis zu 400 kW später auch das Megawattladen (MCS) ermöglichen. Die Batterien können an einer entsprechenden Ladesäule mit etwa einem Megawatt Leistung in ca. 30 Minuten von 20 auf 80 Prozent aufgeladen werden. (Quelle: Daimler Truck Global Communications)

Innerhalb welcher Zeitspanne genau eine Kostenparität erreicht werden könne, unterscheide sich von Land zu Land, insbesondere der Strom- und Dieselpreis sowie das jeweilige Mautsystem spielten dabei eine Rolle. Die Kalkulation geht auf, wenn steigende CO2-Preise den klimaschädlichen Diesel verteuern und die Lkw-Maut für emissionsfreie E-Fahrzeuge zugleich sinkt. Über den gesamten Lebenszyklus stoße der Elektrolaster 80 Prozent weniger Kohlendioxid (CO2) aus als ein Diesel-Lkw.

Bis 2030 könnten 50 Prozent E-Trucks verkauft werden

2030 könnten bis zu 60 Prozent der Verkäufe in Europa E-Lkw sein, weil es für viele Kunden aus einer Gesamtkostenperspektive mehr Sinn ergeben würde, sagte Rådström. So sieht es auch die Konkurrenz bei MAN: Hier rechnet man ebenfalls mit rund 50 Prozent E-Anteil bis zum Jahr 2030, sagte MAN-Vorstandsvorsitzender Alexander Vlaskamp im April.

Herausforderung Ladeinfrastruktur

Ein kritischer Faktor beim Umstieg ist die Ladeinfrastruktur. Denn nur, wenn diese gut ausgebaut ist, kann er mit dem Diesel-Lkw in der Reichweite konkurrieren. Etwa 60 Prozent der Langstreckenfahrten von Mercedes-Benz-Trucks-Kunden in Europa seien allerdings ohnehin kürzer als 500 Kilometer, sodass Ladeinfrastruktur auf dem Betriebshof sowie an den Be- und Entladestellen für diese Fälle ausreichend ist. Auf längeren Strecken gilt: Findet der Lkw-Fahrer in seiner obligatorischen 45-minütigen Pause einen Rastplatz mit Ladestelle, sodass die Batterie binnen einer halben Stunde auf 80 Prozent aufgeladen werden kann, schafft der Truck die Tagestour von 1.000 Kilometern. Bis es so weit ist, ist noch viel zu tun. Das wissen auch die Hersteller. Schon bei E-Autos mussten sie lernen, dass Kunden keine neue Technologie kaufen, wenn sie Angst haben, mangels Lademöglichkeiten liegenzubleiben.

Im Transportwesen gilt das noch viel mehr als bei Privatautos: Zeit ist Geld, sagt Nicolai Woyczechowski. Er ist Vetriebsleiter bei Virta, einer Plattform für das Laden von Elektrofahrzeugen in Europa. „Man muss Ineffizienz in Kauf nehmen durch längere Stand- und Ladezeiten. Auch die Routen müssen anders geplant werden. […] Beim Laden darf nichts schieflaufen, weil der Fahrer im Zweifelsfall eine kritische Route hat“, sagt er. Findet der Fahrer keinen Ladeplatz, können ganze Wochenplanungen durcheinander geraten.

Hersteller sorgen selbst für Lademöglichkeiten

Deshalb halten es die Lkw-Hersteller ähnlich wie Tesla anfangs mit seinem Supercharger-Netzwerk und sorgen selbst dafür, dass Ladesäulen gebaut werden. Auch die Nationale Leitstelle Infrastruktur in Deutschland arbeitet bereits daran, ein Schnellladenetz für Lkw entlang der Fernverkehrsstrecken aufzubauen und unterstützt Firmen, eine Lkw-Ladeinfrastruktur in Depots und Logistikhubs zu errichten.

Daimler Truck beteiligt sich am gemeinsam mit den Konkurrenten Traton und Volvo betriebenen Lade-Unternehmen Milence mit einer Investition von 500 Millionen Euro. In Europa sollen 1.700 Ladepunkte errichtet werden. Reichen wird das noch lange nicht. MAN-Chef Vlaskamp rechnet damit, dass es bis 2030 europaweit rund 50.000 Hochleistungs- und Megawattladepunkte geben muss, damit die Trucker in ihren Ruhezeiten genug Strom tanken können.

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Um den Kunden den Wechsel zu erleichtern, verkauft Mercedes mit dem Fahrzeug Beratung und Ladeausstattung für den Hof des Spediteurs. Kleineren, weniger zahlungskräftigen Kunden soll der Umstieg über Leasing und das Finanzieren der Ladeinfrastruktur erleichtert werden. Wann der Markt dann tatsächlich so weit ist, wird sich jedoch zeigen müssen.

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