Seit September macht Izatullah Azizi aus Stockach eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Dennoch soll er nun zurück nach Afghanistan – für ihn unmöglich.
Ein Jahr und drei Monate lebte er mit der Ungewissheit. Ein Jahr und drei Monate musste Izatullah Azizi, der aus Afghanistan geflüchtet und auf Umwegen nach Stockach gekommen war, warten. „Man schaut täglich mit einer Vorahnung in den Briefkasten – das ist Stress pur“, erzählt der heute 22-Jährige. Dann, vor etwa zwei Wochen, kam der gelbe Umschlag, auf dem in großen Lettern der Name des Absenders prangte: „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“, kurz: BAMF. Als Azizi den Umschlag öffnete, kam der befürchtete Schock: die Ablehnung seines Asylantrags.
Azizi droht nun, sein Leben in Deutschland zu verlieren: Die Ausbildung als Berufskraftfahrer, die er im September letzten Jahres bei einem Unternehmen in Singen begann. Die Freunde, die er in den dreieinhalb Jahren Stockach kennenlernte. Die Sicherheit, die ihm das friedliche Deutschland im Gegensatz zu seiner zerstörten Heimat bietet. „Die Ablehnung kommt für viele Afghanen“, konstatiert der 22-Jährige beinahe resigniert. Und tatsächlich: So wie Izatullah Azizi ergeht es mehr als der Hälfte der afghanischen Geflüchteten in Baden-Württemberg. 13 264 Entscheidungen über Asylsuchende aus Afghanistan fällte das BAMF im Jahr 2016 landesweit, 7227, immerhin 54,5 Prozent, wurden zurückgewiesen. Damit steigt die Zahl jener, die in ihre Heimat zurückkehren sollen, im Vergleich zu den Vorjahren.
Einspruch gegen Ablehnung
Mittlerweile hat Azizi sich rechtlichen Beistand geholt. Er hat Einspruch eingelegt wie so viele afghanische Geflüchtete vor ihm, denen die Abschiebung droht. Geht es nach Arnulf Heidegger, Rechtsanwalt für Asyl- und Migrationsrecht in Singen, ist solch ein Einspruch der richtige Weg. Denn er sieht die Abschiebepraxis nach Afghanistan kritisch. „Nach meiner Kenntnis herrschen in diesem Land keine eingerichteten staatlichen Strukturen, die ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten könnten“, erklärt der Jurist. Stattdessen bekomme man über die Medien nur einen kleinen Teil der Gewalttaten in Afghanistan mit. Und inländische Fluchtalternativen, die existierten seiner Meinung nach angesichts der jüngsten Gewaltexzesse durch die Taliban auch nicht. Das erkannte Izatullah Azizis Vater bereits im Januar 2014, als er seinen Sohn im Alter von 17 Jahren außer Landes bringen ließ. Denn die Taliban waren auch ihm auf den Fersen.
In Kusbaro, einem 1000-Seelen-Dorf unweit von Dschalalabad im Nord-Osten Afghanistans, wuchs Izatullah Azizi auf, mit zwölf Geschwistern – und einigen Cousins. Einer von ihnen lieferte Waffen an die Taliban. Als Azizi dies der Polizei meldete, so erzählt er, wurde er selbst zur Zielscheibe der Terroristen, die in ihm einen regierungstreuen Spion sahen: Er bekam Morddrohungen und musste fliehen. Vor genau vier Jahren, am 15. Februar 2014, verließ er deshalb seine Heimat. Über den Iran, die Türkei, Griechenland und die Balkanroute; zu Fuß, mit dem Zug, dem Bus, dem Boot. Bis Azizi im Dezember desselben Jahres Deutschland erreichte.
Und im Januar 2015 nach Stockach kam. Nun besitzt er eine Aufenthaltsgestattung, eigentlich gültig bis 2020, dem Ende seiner Aufbildung. Traurig hält er sie in die Höhe, denn Sicherheit bietet auch die ihm nicht. „Und wenn ich zurückkehre, muss ich den Taliban entweder Geld zahlen – oder sterben.“ Izatullah Azizi schluckt. „Ich kann nicht nach Afghanistan.“