Das Landgericht (LG) München muss den größten Schadensersatzprozess gegen ein Lkw-Kartell möglicherweise noch einmal aufrollen. Zuvor hatte es die Sammelklage des Rechtsdienstleisters Financialright als teils unzulässig, teils unbegründet abgewiesen und damit den Ambitionen alternativer Rechtsdienstleister einen Dämpfer verpasst. Nun kam das Oberlandesgericht (OLG) München im Berufungsverfahren zu einer anderen Bewertung.
Nach vorläufiger Einschätzung des Senats sei das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen, so der Vorsitzende Richter Andreas Müller. Viele Fragen seien offen geblieben, der Fall noch nicht entscheidungsreif, hieß es. Die Käufer von 70.000 angeblich überteuert verkauften Lastwagen können damit neue Hoffnung schöpfen.
2016 hatte die EU-Kommission einige Lkw-Hersteller zu einem Rekordbußgeld verdonnert. Es ging um jahrelange Preisabsprachen, an denen die hier verklagten Lastwagenbauer MAN, Daimler, DAF, Iveco und Volvo/Renault beteiligt waren. Der Dienstleister Financialright hatte daraufhin als Kläger die Forderungen tausender Speditionen gebündelt, die rund 500 Millionen Euro Schadensersatz von den beklagten Lastwagenbauern verlangen.
Wechselbad der Gefühle
Anfang 2020 ließ das Münchner Landgericht die Schadensersatzklage jedoch platzen. Die Begründung: Das Geschäftsmodell von Financialright verstoße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG). Damals hieß es, Financialright sei kein Inkassounternehmen im Sinne des RDG, da das System von vornherein auf eine Klage und nicht auf eine außergerichtliche Einigung ausgelegt sei (Az. 37 O 18934/17).
Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) stimmte die Klägerseite jedoch erneut zuversichtlich. Im Juni vergangenen Jahres hatte der BGH das Geschäftsmodell von Financialright im Zusammenhang mit dem Dieselskandal gebilligt. Das Gericht entschied, dass sich der in Deutschland registrierte Inkassodienstleister, der das Portal Myright betreibt, Schadensersatzforderungen abtreten lassen darf, die Schweizer Autokäufer gegen VW geltend machen (Az. Vla ZR 418/21).
Im Gegensatz zum Landgericht München hält auch das OLG die Abtretung der Schadensersatzforderungen an den Inkasso- und Rechtsdienstleister Financialright zumindest nach erster Einschätzung für rechtens. Die Bündelung der Ansprüche sei demnach zulässig, sagte Müller zum Auftakt der Berufungsverhandlung. Financialright tritt als alleiniger Kläger auf und bekommt im Erfolgsfall 33 Prozent Provision.
Finanzierungsvereinbarung wird zur Gretchenfrage
Die mündliche Verhandlung vor dem Kartellsenat des OLG hielt für die Beteiligten jedoch noch eine Überraschung bereit: Nach der Einführung in den Sach- und Streitstand durch den Senat ließ dieser verlauten, dass der Vertrag von Financialright mit dem Prozessfinanzierer Burford Capital „der Dreh- und Angelpunkt“ für die Zulässigkeit der Sammelklage und für das Verfahren sein könne.
Die Beklagtenseite sieht in der Prozessfinanzierung einen Interessenkonflikt – eine Einschätzung, die auch das LG München teilte. Befürchtet wird eine zu große finanzielle Abhängigkeit von Financialright zu seinem Geldgeber Burford. Dieser treffe Entscheidungen möglicherweise nicht zum Wohl der Mandanten, sondern zum Wohle seines eigenen Unternehmens. Die Klägerin sei damit nicht frei, bestmögliche Vergleiche zu erzielen, so die Beklagtenvertreter.
Um diese wichtige Frage abschließend zu beantworten, forderten die Lkw-Hersteller die Offenlegung des Vertrags von Financialright mit dem Prozessfinanzierer. Bis Ende des Jahres will der Senat nun entscheiden, ob Financialright aufgefordert wird, seinen Vertrag mit Burford vorzulegen.
Signalwirkung für weitere Sammelklagen
Beim Landgericht München sind noch weitere große Lkw-Verfahren anhängig. Unter anderem fordert Financialright für die Käufer von weiteren 100.000 Lastwagen ebenfalls annähernd eine halbe Milliarde Euro Schadensersatz. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) hatte seinen Mitgliedern zu der Klage über Financialright geraten. In einem anderen Verfahren fordern die Deutsche Bahn, die Bundeswehr und viele Speditionsfirmen von den Lastwagenherstellern 385 Millionen Euro Schadensersatz.
Vertreter Financialright
Hausfeld: Dr. Alex Petrasincu (Berlin/Düsseldorf), Dr. Ann-Christin Richter (Hamburg; beide Federführung), Dr. Manuel Knebelsberger (Düsseldorf), Karl von Steuben; Associates: Dr. Christopher Unseld, Martin Nobelen, Rebecca Apell, Stefanie Gohr, Albert Gutmann (alle Berlin), Otis Gröne (Düsseldorf; alle Kartellrecht/Prozessführung)
Vertreter MAN
Hengeler Mueller (Düsseldorf): Dr. Thorsten Mäger, Dr. Daniel Zimmer, Dr. Philipp Neideck, Dr. Sarah Milde (München); Associates: Dr. Sebastian Dworschak, Christian Jopen, Nils Hoffmann (alle Kartellrecht/Prozessführung)
Inhouse Recht (München): Anja Döring (Senior Legal Counsel), Sebastian Hausner (Legal Counsel)
Vertreter Daimler
Gleiss Lutz: Dr. Ulrich Denzel (Kartellrecht; Stuttgart), Dr. Stefan Rützel (Prozessführung; Frankfurt; beide Federführung), Dr. Christian von Köckritz (Brüssel; Kartellrecht), Dr. Lukas Schultze-Moderow (Prozessführung; Hamburg), Dr. Carsten Klöppner (Kartellrecht), Dr. René Kremer, Dr. Simon Wagner (alle Stuttgart), Dr. Bernd Zimmermann (Berlin; alle Prozessführung); Associates: Moritz Krause (Kartellrecht), Katja Meyer (beide Stuttgart), Saskia Guenoub (Berlin; beide Prozessführung)
Inhouse Recht (Stuttgart): Iris Kemmler (Associate General Counsel), Volker Abele, Ute Pazer, Yvonne Herr
Vertreter Volvo/Renault
Freshfields Bruckhaus Deringer (Düsseldorf): Dr. Roman Mallmann (Federführung), Jan-Henning Buschfeld; Associate: Dr. Franziska Leinemann (alle Prozessführung)
Vertreter DAF
Noerr (Berlin): Dr. Fabian Badtke (Frankfurt), Peter Stauber (beide Kartellrecht), Dr. Henner Schläfke, Dr. Tobias Lühmann, Marco Leck (alle Litigation)
Vertreter Scania
Allen & Overy (Hamburg): Dr. Ellen Braun, Dirk Arts, Francesca Miotto (beide Brüssel); Associates: Dr. Julia Molestina, Heiner Mecklenburg, Nele De Backer (Brüssel), Dr. Philipp Steinhaeuser, Henriette Hermann, Julius von Düring (alle Kartellrecht)
Vertreter Iveco/Fiat
Buntscheck (München): Dr. Martin Buntscheck, Dr. Tatjana Mühlbach, Dr. Andreas Boos, Dr. Martin Malkus; Associates: Hanna Stichweh, Eva Grünwald, Dr. Florian Hinderer, David Pfeuffer (alle Kartellrecht)
Oberlandesgericht München, 29. Senat
Andreas Müller (Vorsitzender Richter)
Hintergrund: Die Vertreterkonstellation ist im Verlauf der zahlreichen gerichtlichen Stränge weitgehend konstant geblieben. Lediglich innerhalb der Teams gab es personelle Wechsel.
Neben dem Lkw-Kartell vertritt Hausfeld Financialright auch gegen VW im Dieselskandal. Im Lkw-Verfahren liegt die Federführung bei Petrasincu, die Dieselfälle liegen in der Hand des früheren Gleiss Lutz-Partners von Bernuth.
Das aktuelle Berufungsverfahren wird vor dem 29. Zivilsenat geführt, der zugleich Kartellsenat ist. Dem Vernehmen nach ist mit einer Entscheidung in der Sache erst im kommenden Jahr zu rechnen. (mit Material von dpa)