Reportage Lkw-Fahrschule – Auf dem Weg zum Brummi-Bezwinger

Die Zahlen unterscheiden sich, aber die Tendenz ist überall die gleiche: In Deutschland fehlen zehntausende Lkw-Fahrer. Kein Wunder, der Führerschein ist buchstäblich eine schwere Prüfung.

Gegen die Altstadt von Herborn ist ein Nadelöhr eine breite Schneise, und gegen einen Volvo FH420 sieht ein Kamel verschwindend klein aus. Erst recht, wenn hinten dran noch ein Auflieger hängt und die Fuhre so auf 16 Meter kommt. Doch Jörg Ebert hockt zwei Meter über der Straße auf dem Beifahrersitz, nickt mit einer Mischung aus Zuversicht und Schadenfreude und scheucht den schweißnassen Fahrer immer wieder durch die engsten Ecken.

Dessen Bick springt hektisch von einem der sechs riesigen Spiegel in den nächsten, sucht draußen Kontakt mit den Blicken der oft genug wenig aufmerksamen anderen Autofahrern, verrenkt sich beim Versuch, den Toten Winkel zu verkleinern und nur ja keinen Fußgänger oder Radfahrer zu übersehen, nur um gleich wieder im nächsten Spiegel nach dem Rechten zu sehen. Die Hände krallen sich ums riesige Lenkrad, bis die Knöchel weiß werden, nervös wippt er im luftgefederten Sitz und mit zittrigem Fuß streichelt er ganz sanft das Gaspedal, bis sich der Koloss unter dem lauten Knurren seines mächtigen Diesels ohne Komplikationen um die Kurve schiebt. Nur um zwei Kreuzungen weiter gleich wieder in die Bredouille zu kommen.

Ebert macht das nicht zum Spaß. Der 61jährige ist Fahrlehrer und ficht einen schier aussichtslosen Kampf gegen den Fachkräftemangel im Führerhaus. Denn die Statistiken mögen sich im Detail unterscheiden, doch die Tendenz ist mehr als eindeutig: In Deutschland fehlen zehn- je nach Lesart sogar hunderttausende Lkw- und Busfahrer und der Hesse leistet mit seinen rund 120 Prüflingen im Jahr einen kleinen Beitrag dazu, dass die Lücke nicht noch größer wird. Schnell mal 6.000 Euro und mehr zahlen die der Fahrschule, den Prüfern und den Ämtern dafür, dass sie erst ohne und dann mit Anhänger all das fahren dürfen, was bei uns in den Supermärkten steht oder aus dem Online-Shop kommt und nach dem Gebrauch als Müll wieder abgeholt wird.

Dann hocken sie mehrere Tage in der Theorie, büffeln abendelang die theoretischen Prüfungsfragen am Tablet oder Telefon und sitzen eine Stunde nach der anderen neben Ebert auf dem Bock: Sie quälen sich durch verwinkelte Altstädte wie Herborn oder Dillenburg und über enge Landstraßen, schwitzen beim Rangieren an der Rampe der örtlichen Einkaufzentren, lernen die Monotonie nächtlicher Autobahnen kennen, zirkeln ihren Koloss millimetergenau durch Pylonengassen und sind heilfroh darüber, dass Themen wie Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten nur in der Theorie dran kommen.

Denn zur Fahrzeugbeherrschung käme sonst zumindest im Fernverehr auch noch der Kampf gegen die Uhr und die ewige Suche nach einem passenden Stellplatz. Wer gewerblich fahren will und nicht nur nebenbei oder im Betriebsverkehr, der braucht auch noch „140 Stunden beschleunigte Grundqualifikation LKW“ in den so genannten Modulen. Und anders als beim Pkw muss man vieles davon beim Lkw regelmäßig auffrischen: Alle fünf Jahre werden wieder 35 Stunden Theorie fällig.

Dafür ändert sich mit dem Wechsel des Fahrzeugs auch der Blick auf die Welt. Und zwar im wörtlichen, wie im übertragenen Sinne: Selbst gut ausgebaute Bundesstraßen haben sich noch nie so schmal angefühlt wie aus der Vogelperspektive hinter dem Lkw-Lenkrad. Wer einmal seinen Laster über die marode A45 durchs Siegerland gelenkt hat, der wird als Pkw-Fahrer nie wieder über eine Autobahn-Baustelle schimpfen. Erschrocken stellt man fest, wie mickrig 420 PS sein können, wenn man so einen Koloss einen Berg hinauf prügelt, wie kräftig dagegen die allein bald 20 Tonnen Leergewicht dafür schieben, wenn es wieder den Berg runter geht, und wie kurz eine Autobahnauffahrt wird, wenn ein 40tonner hier auf Tempo 80 beschleunigen soll.

Und die Fernfahrten sind noch die leichteste Übung. Je kürzer die Strecke, desto schwieriger wird der Job und nichts ist schweißtreibender als die 40 Meter auf der Rückseite des Rewe-Marktes. Denn während der Laster gefühlt plötzlich groß wird wie ein Airbus, schrumpft der Hinterhof auf das Format eines Bierdeckels. Und über den soll man jetzt rückwärts einen Verbund rangieren, der mit dem Gelenk zwischen Zugmaschine und Auflieger in etwa so richtungsstabil ist wie eine Natter im Angriffsmodus. Vielen Dank auch!

Immerhin machen einem die Lkw-Hersteller die Bedienung leicht. Denn obwohl der Volvo mit seinen sechs Zylindern, 12,8 Litern Hubraum und 420 PS Eckdaten hat wie ein Supersportwagen, lässt er sich so leicht im Zaum halten wie ein City-Flitzer: Die Lenkung reagiert feinfühlig, das Automatikgetriebe sortiert seine zwölf Gänge sanft und seidig und wenn man sich erst mal an das Zischen der Druckluftbremse gewöhnt hat, fährt man den Koloss mit dem kleinen Zeh. Einzig der Umgang mit dem Retarder, einer Dauerbremse ohne Verschleiß, erfordert ein bisschen Übung. Aber wer mal Elektroauto gefahren ist und mit der Rekuperation arbeitet, der kommt auch damit schnell zurecht.

Dumm nur, dass der Führerschein nicht nur hinter dem Lenkrad und am Laptop gemacht wird. Sondern mindestens so schwer wie das Lernen der Regeln und das Rangieren ist auch der Kampf mit der Bürokratie: Führerscheinantrag, Prüfbescheinigung, Termin zur Abholung der neuen Karte und dann auch noch der Übertrag in den internationalen Führerschein – in manchen Landkreisen ist das komplizierter als die verwinkeltste Altstadt der Welt. Dann lieber nochmal zurück nach Herborn.

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