Qual-Rindertransporte gehen weiter

Werden Tiere in Nicht-EU-Länder exportiert, muss belegt werden, dass unterwegs EU-Tierschutzvorschriften eingehalten werden. Doch laut Recherchen von rbb, NDR und ARD-Mittagsmagazin werden Exporte offenbar auch ohne Nachweise genehmigt.

In Kasan, der Hauptstadt von Tatarstan in Russland, herrschten am 14. Dezember eisige Temperaturen: minus 15 Grad. Im brandenburgischen Dahme/Mark waren es wesentlich angenehmere zwei bis acht Grad, als die zuständige Veterinärin einen Transport von 13 LKW mit 409 Rindern aus ganz Deutschland genehmigte. Ihr Ziel: eine Rinderanlage im Dorf Muslyumovo, 300 Kilometer östlich von Kasan.

Der Vorgang wirft Fragen auf, denn für solche Transporte gelten strenge Vorgaben. So soll die Temperatur im Transportraum nicht unter fünf Grad sinken, auch wenn bei den Messungen Toleranzen von +/- fünf Grad zulässig sind. „Erfahrungsgemäß ist ein Transport von Tieren bei weniger als minus zehn Grad Außentemperatur nicht mehr möglich“, heißt es aber ergänzend im „Handbuch Tiertransporte“. Michael Marahrens vom Friedrich-Loeffler-Institut gehört neben Vertretern mehrerer Landesministerien zu dessen Autoren. Trotz technischer Möglichkeiten würde er „als abfertigende Behörde diese Transporte untersagen, weil der Tierschutz dann nicht mehr sicherzustellen“ sei, erklärt er im Interview.

Als der Transport am 19. Dezember sein Ziel erreichte, sanken die Temperaturen in der Region auf minus 18 bis minus 20 Grad. Transportunterlagen belegen weniger als fünf Grad im Inneren des LKW. Dem ARD-Mittagsmagazin und rbb24 Recherche liegen die Messprotokolle aus dem Transportraum eines der Fahrzeuge vor, das die Rinder von Brandenburg nach Tatarstan transportierte. Sie zeigen, dass die Fünf-Grad-Grenze immer wieder unterschritten wurde. Das Veterinäramt erklärte auf Anfrage schriftlich: „Wir prüfen die Transporte vorher gründlich und auch im Nachhinein werden die Fahrtenbücher aufgearbeitet. Verstöße werden dann auch geahndet.“

Transport hätte wohl nicht genehmigt werden dürfen 

Ina Müller-Arnke, Nutztierexpertin bei der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“, ist der Auffassung, das Veterinäramt hätte den Transport angesichts der Wetteraussichten und der Verpflichtung zur Einhaltung der Fünf-Grad-Grenze nicht genehmigen dürfen. „Wenn es nicht sichergestellt werden kann, dass der Betreiber auf dem Transport diese Temperatur halten kann, dann darf er nicht fahren.“ Das Veterinäramt räumt dazu auf Anfrage des rbb ein, dass bereits vor Transportbeginn ein „Kälteeinbruch“ abzusehen war, daraufhin sei die Transportplanung verändert worden, um das Ziel schneller zu erreichen. „Wie kalt es genau auf dem Hänger wurde, wird im Einzelnen noch geprüft und dokumentiert, es war aber definitiv kälter als zulässig“, heißt es weiter.

Der Brandenburger Landkreis Teltow-Fläming gehört derzeit zu den wenigen Landkreisen, die weiterhin Tierexporte über lange Strecken abfertigen. Exporteure aus ganz Deutschland bringen ihre Rinder gezielt zur Abfertigung dorthin. Im konkreten Fall hatte ein Exporteur Tiere aus sechs Bundesländern eingesammelt. Darunter auch Rinder aus Sachsen-Anhalt, einem der Bundesländer, die de facto keine Exporte mehr genehmigen.

Schlupfloch Niedersachen

Auch der der niedersächsische Landkreis Aurich gehört für Exporteure zu den bevorzugen Kreisen, wenn es um die Abfertigung von Lebendtierexporten in Nicht-EU-Länder geht. Am 5. Dezember wurde dort ein Transport mit vier LKW und insgesamt 136 Rindern abgefertigt. Ziel: Marokko. Die Landetappe ging über 2928 Kilometer zum spanischen Hafen Algeciras. Eine Strecke, für die nach rbb-Berechnungen zwei Fahrer eingesetzt werden müssten, um die Fahrtzeit so kurz und für die Tiere so stressfrei wie möglich zu halten. Laut Transportplanung, die vom Veterinäramt bestätigt wurde, ist aber nur ein Fahrer dokumentiert. In 85 Stunden sollte er die Strecke schaffen und zwischendurch auch noch die Tiere ordentlich versorgen. Wenn ein Fahrer jedoch die Lenk- und Ruhezeiten einhält, schafft er maximal 2660 statt 2928 Kilometer.

Hinzu kommt, dass die Rinder alle 29 Stunden abgeladen werden und für 24 Stunden ruhen müssen. Wenn nur ein Fahrer fährt, verlängert sich die Fahrzeit, die Tiere müssen eigentlich öfter abgeladen werden. In den vorliegenden Dokumenten fehlen zudem die Informationen darüber, wie es ab dem spanischen Hafen Algeciras und durch Marokko weitergeht. Dennoch wurde der Transport freigegeben.

Auf mehrfache Nachfrage räumt der Landkreis Aurich ein, dass in der genehmigten Planung wirklich nur ein Fahrer vermerkt war, allerdings habe der Transporteur „versichert“, dass ein zweiter Fahrer eingesetzt werde. Dokumentiert ist das nicht. Die nachträgliche Prüfung des Transportes sei „noch nicht abgeschlossen“.

Bundesländer nehmen Klöckner in die Pflicht 

Bislang liegt die Verantwortung für die Umsetzung der Tierschutzstandards bei den Ländern und letztlich bei den Tierärzten. Sie müssen bei jedem Transport prüfen, ob Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer eingehalten werden und ob es beispielsweise in Russland Versorgungsstationen gibt, die den EU-Richtlinien entsprechen. Bundesweit gültige „Handreichungen“ fehlen. „Vier-Pfoten“-Expertin Müller-Arnke sieht deshalb schon lange Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in der Verantwortung: „Die Bundesministerin kann nicht sagen, es ist allein Sache der Abfertigung. Denn sie hat das Vertretungsrecht des Bundes auch auf EU-Ebene und muss dafür sorgen, dass die EU-Transportverordnung eingehalten wird.“

Unterstützung erhält die Tierschutzorganisation bei dieser Forderung auch vom Bundesrat. Nordrhein-Westfalen hat einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird zu prüfen, ob ein Exportverbot von lebenden Nutztieren in bestimmte Länder festgelegt werden kann. Der zuständige Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz geht noch weiter, er fordert, auch auf EU-Ebene Transporte zu untersagen, „wenn konkrete Anhaltspunkte die ernsthafte Möglichkeit begründen“, dass der Tierschutz nicht gewährleistet werden könne. Außerdem sollen Kontrollen und Zertifizierungen dafür sorgen, dass Versorgungsstationen sowie Häfen eine tierschutzgerechte Beförderung sicherstellen.

Am kommenden Freitag entscheidet der Bundesrat über den Entschließungsantrag und die weitergehenden Vorschläge des Agrarausschusses. Die Bundesländer Bremen, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben auf Nachfrage schon ihre Zustimmung signalisiert.

Quelle