Es soll nichts Geringeres als die größte private Ladeinfrastruktur für Elektro-Lkw werden: Mit einem Festakt in Neuss hat Contargo sein firmenweites Lade-Netzwerk in Betrieb genommen. Doch selbst wenn die 93 Ladepunkte der aktuellen Ausbaustufe stehen, wird das für Contargo erst der Anfang sein.
Stockwerke hoch türmen sich die Frachtcontainer auf dem Contargo-Gelände im Neusser Hafen. Dort betreibt die Rethmann-Tochter eines ihrer „intermodalen Terminals“: Contargo versteht sich als Container-Hinterlandlogistik-Netzwerk und verteilt von seinen Terminals die Container, die per Binnenschiff oder Bahn angeliefert wurden, mit Lkw an die regionalen Kunden weiter. Sogar ein Zug von der Seidenstraße fährt den Neusser Hafen an, die Container kommen aber auch aus anderen Teilen Europas über die Schiene in die NRW-Stadt südwestlich von Düsseldorf, oder eben über den Rhein, etwa per Binnenschiff aus Rotterdam.
Genau dieses Konzept macht es Contargo möglich, im großen Stil auf E-Lkw zu setzen. Denn per Lkw legen die Container nur den letzten, kürzesten Teil ihrer Reise zurück. Der Weg zum Empfänger kann zum Teil nur zehn Kilometer lang sein, im Schnitt sind es 40 Kilometer. Von Neuss aus beliefert Contargo zum Beispiel Kunden in Düsseldorf, Krefeld oder Mönchengladbach – und nur ganz selten bis ins Sauerland oder ins niederländische Venlo, wie Contargo-CEO Jürgen Albersmann erklärt. „Alles, was weiter entfernt liegt, wird dann im Süden über das Terminal in Köln und im Norden über jenes in Duisburg abgewickelt.“ Kurze Wege, die auch mit E-Lkw problemlos möglich sind.
22 Lkw-Lader in Betrieb, 93 sollen es werden
Doch jeder E-Lkw muss früher oder später geladen werden. Derzeit läuft bei Contargo die erste, große Ausbaurunde, in der 93 Lkw-Ladepunkte in 15 Terminals entstehen sollen. Die ersten 22 dieser Ladepunkte sind bereits an sieben Standorten in Betrieb, acht davon stehen in Neuss. Dort sind sie direkt neben der Lkw-Einfahrt platziert – und wirken vor dem Hintergrund der hohen Container-Stapel geradezu klein. Dennoch ist ihre Symbolwirkung für das Unternehmen groß: „Am Standort Neuss eröffnen wir symbolisch für alle anderen Standorte acht Ladepunkte, die aber für viel mehr stehen“, sagt Albersmann. „Es ist der Grundstein für die Dekarbonisierung unserer Lkw-Flotte. Wir, als eines der größten, trimodalen Hinterland-Containerlogistik-Netzwerke, sehen uns in der Verantwortung, echte Lösungen zu präsentieren, um gemeinsam mit unseren Kunden die Verkehrswende aktiv voranzutreiben. Dieses Engagement ist wichtig, da der Kombinierte Verkehr in den nächsten Jahren stark wachsen wird.“
Die 93 Ladepunkte wurden mit Geldern aus den ersten beiden Aufrufen des KsNI-Programms des Bundes gefördert – wie auch die 86 E-Lkw, die Contargo angeschafft hat. 57 davon sind schon ausgeliefert, 33 weitere sollen bald folgen. Contargo setzt dabei ausschließlich – bei dem Einsatz wenig überraschend – auf schwere Sattelzugmaschinen mit 44 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht. In der Flotte ist etwa der Volvo FH Electric, der Logistiker gehört aber auch zu den Erstkunden des Mercedes-Benz eActros 600, der erst seit November in Serie gebaut wird. Bei der Zeremonie in Neuss standen ein Volvo FH und ein eActros 600 in der ersten Reihe. Und aufgrund der hohen KsNI-Förderung war auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (inzwischen parteilos) angereist, um die Lkw-Lader zu eröffnen.
Geladen werden die Fahrzeuge primär über Nacht, sodass die Schicht am Morgen mit einem vollen Akku beginnen kann. In Neuss gibt es dabei vorerst die komfortable Situation, dass es acht Ladepunkte für acht E-Lkw gibt. Also Kabel rein und den Rest übernimmt das Lastmanagement. Es wird aber nicht dauerhaft bei einer 1:1-Verteilung bleiben: „In Hamburg haben wir nur zwei Ladepunkte, aber elf E-Lkw“, sagt Olaf Jahn, Betriebsleiter in Neuss und standortübergreifend verantwortlich für das Energiemanagement des Projekts. Die Lösung: Ein Fahrer parkt nachts die Fahrzeuge um, die hintereinander geladen werden. Damit wären auch in Neuss deutlich mehr E-Lkw möglich.
Bei der Ladeleistung bleibt Contargo übrigens unter dem, was aktuelle E-Lkw mit ihren großen Batterien vertragen können. Die Säulen der Shell-Tochter SBRS sind auf 250 kW ausgelegt. Und selbst das wird beim aktuellen Über-Nacht-Laden im Neusser Terminal nicht ausgeschöpft, da das Gesamtsystem auf etwa 500 kW gedrosselt ist. Die 250 kW an einem Ladepunkt fließen also nur, wenn die E-Lkw tagsüber nach der zweiten oder dritten Tour zum Kunden etwas Energie zwischenladen müssen, um die restlichen Aufträge des Tages zu schaffen. Und dabei laden die Fahrzeuge nur selten gleichzeitig wie in der Nacht – das System kann also mehr Leistung freigeben.
Ladestationen sind in Energiemanagement integriert
Gesteuert werden die Ladepunkte von einem Lastmanagement, das nicht nur die acht Lkw-Lader koordiniert, sondern tief in das Energie-Ökosystem des ganzen Containerterminals integriert ist. In dem kleinen Häuschen an den Ladesäulen in Neuss sind neben den Gleichrichtern auch fünf Batteriemodule von Commeo installiert. 405 kWh fasst der Pufferspeicher, der etwa aus den Photovoltaik-Anlagen gespeist wird, die schon in den vergangenen Jahren auf den umliegenden Dächern installiert wurden – immerhin 130 kWp.
Eine weitere Energiequelle für die Batterie sind die drei riesigen Lastenkräne, die die Container von den Zügen und Binnenschiffen heben. Denn wenn ein Container abgesenkt wird, nutzt der Kran die Schwerkraft. Und um das Absenken zu kontrollieren und zu stoppen, werden keine mechanischen Bremsen eingesetzt, sondern die starken Elektromotoren werden als Generator umgepolt – wie im E-Auto und E-Lkw können auch die großen Kräne Strom rekuperieren. Wie Betriebsleiter Jahn erklärt, sind die Netzbetreiber gar nicht erpicht darauf, diese Energie in ihre Netze eingespeist zu bekommen. Zu kurz und zu wenig planbar sind die Lastspitzen. „Dank unseres intelligenten Energiemanagementsystems können wir unsere verschiedenen Verbraucher – von den Krananlagen über die Büroinfrastruktur bis hin zu Reefer-Containern und den Ladepunkten für E-Lkw – optimal an das verfügbare Stromangebot anpassen“, so Jahn. Die Batteriespeicher sorgen dafür, dass keine Lastspitzen entstehen und den operativen Betrieb zusätzlich verteuern.
Die ersten Elektro-Lkw hat Contargo bereits vor sieben Jahren erprobt – damals gab es nur Kleinserien oder E-Lkw von Umrüstern, die Dieselfahrzeuge auf Elektroantriebe umgerüstet haben. Dass die große Elektro-Offensive aber erst jetzt erfolgt, hat nicht nur mit dem wachsenden Modellangebot seitens der OEM zu tun, sondern auch mit der KsNI-Förderung des Bundes. Über dieses Programm des Bundesverkehrsministeriums wurde die Beschaffung von klimaschonenden Nutzfahrzeugen und der zugehörigen Infrastruktur bezuschusst. Alleine Contargo hat sich für die 86 E-Lkw und 93 Ladesäulen rund 42,4 Millionen Euro vom BMDV gesichert. Im Zuge der Haushaltskrise hat die damalige Ampel-Koalition die KsNI-Förderung aber gestoppt, auf Bundesebene gibt es seitdem keine entsprechende Förderung mehr.
Das wird – wie am Rande der Eröffnungsfeier in Neuss klar wurde – auch die weitere Beschaffung von Contargo beeinflussen. Denn vorerst wird es wohl bei den 90 E-Lkw in der Contargo-Flotte bleiben. Das Unternehmen betreibt selbst 250 Lkw, die auch langfristig alle elektrifiziert werden sollen. Nur wie schnell, das ist ohne Förderung offen. Mit den eigenen Lkw will Contargo auch Vorbild für die Partner und Subunternehmer sein, denn insgesamt fahren jeden Tag 600 bis 700 Lkw die Contargo-Terminals an. Aber auch diese sollen – wenn sie denn elektrisch sind – die Contargo-Ladepunkte nutzen können.
Ruf nach neuer Bundes-Förderung
Dass die Ambition bei Contargo eigentlich über die 90 E-Lkw hinausgeht, macht in seiner Rede auch Clemens Rethmann, Vorstandssprecher der übergeordneten Rethmann-Gruppe, deutlich. „Meine Vision ist klar: Alles bis 250 Kilometer Transportstrecke geht schon heute elektrisch. Mit den neuesten Fahrzeugen und der wachsenden Infrastruktur können wir das hoffentlich auf 500 Kilometer ausweiten“, so Rethmann. „Und für alles über 500 Kilometer braucht kein Lkw zu fahren, dann geht der Container auf die Schiene. Mit weniger Lkw auf der Autobahn kippen auch unsere Brücken nicht so schnell um“, kann sich der Rethmann-Sprecher eine Spitze gegen die marode Autobahn-Infrastruktur nicht verkneifen.
Der Adressat dieser Spitze war Verkehrsminister Wissing, der sich zuvor die Anlage im Neusser Terminal hat erklären lassen. „Wir unterstützen gerne mit Förderungen, wo wir es können“, so Wissing in seiner Rede vor Contargo-Mitarbeitern und eingeladenen Gästen von Kunden und Partnern. „Sie wissen, wir haben die besondere Situation mit dem Bundeshaushalt, dass wir faktisch keinen haben. Wir konnten zwar dafür sorgen, dass die Infrastruktur-Programme nicht abreißen, aber bei den Förderungen hat das Urteil des Bundesverfassungsgericht destruktive Wirkung gehabt. Deswegen haben wir hier noch sehr viele Fragen zu klären.“
Das wird aber vermutlich dann der nächsten Bundesregierung zufallen, weshalb sich Wissing mit konkreten Aussagen zu weiteren Förderprogrammen zurückhält. Die intermodalen Terminals von Contargo seien mit den E-Lkw „genau nach meinem Geschmack“, so der Minister und könnten viel zu den Klimaschutzzielen im Verkehr beitragen. In einem Punkt konnte Wissing Clemens Rethmann aber Hoffnung machen: Das initiale E-Lkw-Ladenetz des Bundes wird dennoch weiter finanziert und gebaut, womit dann auch die angestrebten E-Lkw-Touren über 500 Kilometer mit Zwischenladen einfacher werden sollen.
Wissing: Müssen auch Netze ausbauen
Beim weiteren, geforderten Ausbau sieht Wissing aber nicht nur das eigene Ministerium in der Pflicht: „Um so viele Ladepunkte zu betreiben, braucht es auch die nötige Netzkapazität“, so der Politiker. Und das falle in die Verantwortung des Energieministeriums. Auch die nötigen, sauberen Energiequellen müssten gefördert werden, weshalb es Wissing nach eigenen Angaben für richtig hält, sich auch die Wasserstoff-Brennstoffzelle als Option offen zu halten. „Am Ende ist es wichtig, dass die notwendige Energie verfügbar ist“, so Wissing.
Selbst dafür hat Contargo in Neuss ein Beispiel parat, wenn auch für Wissings Argumentation kein positives: Zusammen mit Rhenus, einer weiteren Rethmann-Tochter, wurden mehrere Binnenschiffe mit Wasserstoff-Brennstoffzelle in Auftrag gegeben (in Eigenleistung und ohne Förderung), eines davon lag beim Minister-Besuch in Neuss am Pier und wurde auch besichtigt. Nur das Gestell, in dem eigentlich die austauschbaren Wasserstoff-Container platziert werden, ist leer. Weil es an ausreichend grünem Wasserstoff fehlt, sind die Schiffe vorerst weiter konventionell unterwegs. „Sie denken quasi die Zukunft voraus“, lobt Wissing das Vorhaben dennoch. „Man sieht aber auch: Es braucht mehrere Optionen, so ganz beantwortet sind die Fragen derzeit noch nicht.“
Bis auf bei den Ladestationen. Die funktionieren schon jetzt.