Nicht die Pkw, sondern ausgerechnet die tonnenschweren Laster könnten auf deutschen Autobahnen für die Klimawende sorgen. Immer mehr Konzerne wie Daimler und Bosch setzen auf Brennstoffzellen-Lkw. Die Nase vorn haben aber noch asiatische Firmen und ein US-Startup, das ein zweites Tesla werden will.
Als 1994 Mercedes den ersten Brennstoffzellen-Prototyp, den Necar präsentierte, lag die Fachwelt dem Auto zu Füßen. Viele wollten mit eigenen Augen sehen, wie aus dem Auspuff des Necar reiner Wasserdampf strömte. Doch die erhoffte H2-Revolution auf deutschen Straßen blieb aus. Das Wasserstoffauto kam jahrelang nicht über eine Kleinserie heraus. Erst Ende 2018 kam das erste Serienfahrzeug, der Geländewagen GLC F-Cell, der nun aber bald wieder auslaufen wird. Ein Nachfolgemodell ist nicht geplant.
Mitte der 2000er Jahre versuchte es Konkurrent BMW mit dem „Hydrogen 7“. Politiker und Entscheidungsträger durften den emissionsfreien 7er monatelang Probe fahren – und waren begeistert. Aber auch das BMW-Wasserstoffauto setzte sich nicht durch. Es war zu teuer und litt an unausgereifter Technik.
Größter Verursacher der Verkehrsemissionen
Jetzt starten Daimler & Co einen neuen Anlauf, um Wasserstoff endlich salonfähig zu machen – aber nicht mit einem Pkw, sondern mit schweren „Brummis“. Denn noch immer sind Lkw die größten Dreckschleudern im Straßenverkehr. Zwei Fünftel aller Klimagas-Emissionen im Verkehr kommen aus den Auspuffrohren der Laster. Klimapolitiker sind alarmiert. Sie sehen mit Sorge, dass die Menge der Lastwagen auf deutschen und europäischen Straßen und Autobahnen immer weiter wächst – zu Lasten der Umwelt.
Nun zieht Brüssel die Notbremse und setzt die Nutzfahrzeughersteller unter Zugzwang. Bis 2025 müssen die Lkw-Bauer die CO2-Emissionen durchschnittlich um 15 Prozent, bis 2030 gar um 30 Prozent senken. Schaffen sie das nicht, drohen ihnen hohe Strafen.
Brennstoffzellen-Lkws als Langstrecken-Alternative
Um solche Geldbußen zu verhindern, arbeitet die Branche mit Hochdruck an emissionsarmen „Brummis“. Daimler-Vorstand Martin Daum spricht von einer „Mond-Mission“, die die Industrie zu bewältigen hat. Für kurze Strecken setzen die Hersteller auf Elektro-Laster, für längere Strecken auf Wasserstoff-Lkw. Je größer ein Fahrzeug sei und je weiter es fahre, desto mehr Sinn mache es, den Strom für einen Elektroantrieb durch eine Brennstoffzelle zu produzieren und nicht tonnenschwere Batterien mitzutransportieren, meint Daimler-Truckchef Daum. Laster mit Brennstoffzelle kommen auf eine deutlich höhere Reichweite als batteriegetriebene Fahrzeuge, lassen sich schneller binnen fünf Minuten auftanken und verwenden weniger kritische Rohstoffe. Einziger Nachteil ist der deutlich geringere Wirkungsgrad.
Daimler und Volvo preschen voran
Daimler hat vor kurzem entschieden, sich beim Wasserstoff ganz auf die Nutzfahrzeuge zu konzentrieren. So werden die Schwaben ein Joint Venture mit dem schwedischen Lkw-Bauer Volvo Ende des Jahres gründen. Die beiden Partner planen, serienmäßige Lkws mit Brennstoffzelle zu entwickeln und zu produzieren. In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts sollen dann die H2-Trucks von Daimler auf die Straße rollen. Bis 2030 visiert Daimler einen Marktanteil von 15 Prozent an. Spätestens in 25 Jahren sollen fast alle Daimler-Laster mit Wasserstoffantrieb fahren. Ab 2039 werden keine Lkws mehr mit Dieselantrieb ausgeliefert.
Daimler und Volvo sind nicht die einzigen, die in Sachen H2 ordentlich Gas geben. Ein paar andere Hersteller sind schon länger aktiv – und viel weiter. Toyota zum Beispiel hat schon mehrere Brennstoffzellen-Lkw präsentiert. Mit dem amerikanischen Lkw-Bauer Kenworth bauen die Japaner gerade die dritte Generation der Fuel Cell Electric Trucks. Das neue Modell kommt mit einer Tankfüllung auf eine Reichweite von fast 500 Kilometer. Zudem entwickelt Toyota mit dem Nutzfahrzeughersteller Hino Motors einen Brennstoffzellen-Lkw, der gut 600 Kilometer rein elektrisch fahren kann. Zu den Olympischen Spielen 2021 in Tokio will sich Japan als „Wasserstoff-Nation“ herausputzen.
Auch andere Konzerne treiben die Wasserstoff-Technologie voran. Hyundai testet Brennstoffzellen-Lkw unter anderem in der Schweiz. In China boomen die Wasserstoff-Busse, die neben den Elektroautos für saubere Luft in den Metropolen sorgen sollen.
Wird Nikola zum Tesla im Lasterverkehr?
Die Mobilitätswende beschleunigen könnte ein kleines US-Startup namens Nikola. Es will den gesamten Lkw-Markt mit alternativen Antrieben aufrollen. Die Firma aus Arizona entwickelt Pick-ups und Lkw mit Elektro- und Wasserstoffantrieb. Laster mit Lithium-Ionen-Batterie sollen 500 Kilometer, Trucks mit Brennstoffzellen bis zu 1.100 Kilometer weit kommen. Das kleine Start-up hat Großes vor: Mit dem Partner Iveco soll ab Mitte 2021 ein erster batteriegetriebener Lastwagen, der „Nikola Tre“ gefertigt werden. 2023 soll dann der erste Brennstoffzellen-Lkw, der „Nikola Two“ vom Band rollen. Nach Firmenangaben hat Nikola bereits 14.000 Vorbestellungen.
Als Namenspate dient der Wissenschaftler Nikola Tesla. Nikola-Chef Trevor Milton glaubt gar, „wir können größer werden als Tesla“. Bis dahin ist es freilich noch ein meilenweiter Weg. Bisher macht das Start-up keine nennenswerten Umsätze. Tesla-Chef Elon Musk verhöhnt den neuen Konkurrenten und bezeichnet deren Brennstoffzellen fuel cells als „fool cells“ (Idiotenzellen).
Wasserstoff-Hype an der Börse
An der Börse wird Nikola aber schon wie das „Tesla von morgen“ gefeiert. Nur zwei Wochen nach dem Börsengang an der Nasdaq brachte es Nikola schon auf eine Marktkapitalisierung von knapp 25 Milliarden Dollar. Die Aktien des Start-ups schossen um rund 150 Prozent in die Höhe.
Das Beispiel Nikola zeigt, wie groß momentan der Wasserstoff-Hype ist. Bosch rechnet damit, dass bis 2030 weltweit ein Fünftel aller Elektrofahrzeuge mit Brennstoffzellentechnik ausgerüstet sein werden.
Bosch könnte zu den großen Profiteuren des erhofften Wasserstoff-Booms gehören. Der Zulieferer produziert das Herzstück des Brennstoffzellen-Antriebs, die Stacks, zusammen mit der schwedischen PowerCell. Einer der ersten Kunden ist Nikola.
Deutschland gibt Gas
Neuen Schub könnte ausgerechnet das in Sachen H2 bisher zögerliche Deutschland bringen. Die Bundesregierung plant im Rahmen ihres 150 Milliarden Euro schweren „Wumms“-Konjunkturpakets den Aufbau einer eigenen Wasserstoffwirtschaft für neun Milliarden Euro. Branchenexperten hoffen, dass es bald mehr H2-Tankstellen gibt. Zudem dürfte mittelfristig der bisher teuer zu erzeugende Stoff billiger werden. Die Unternehmensberatung McKinsey prophezeit, dass in zehn Jahren Wasserstoff 50 Prozent weniger kosten wird.
Bleibt nur die Frage, woher der Wasserstoff kommt. Bisher wird er hauptsächlich mit Erdgas erzeugt. Die Bundesregierung setzt auf eine CO2-freie Variante: den „grünen Wasserstoff“, der über die Elektrolyse aus erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind oder Biogas gewonnen wird. Sollte das gelingen, dürfte der Wasserstoff das Sprit der Zukunft werden- vor allem für den Schwerlastverkehr.