MAN ANITA: Fahrbericht zum autonomen Truck

Die erste Tour im autonom fahrenden Truck von MAN zeigt, dass die Technik schon weit ist, aber auch, was zu einem vorausschauenden Fahrer an Geschmeidigkeit noch fehlt. Dennoch: Die Technologie könnte eines Schlüsselrolle für die dringend nötige Automatisierung von Terminalverkehren spielen. Die wiederum ist essentiell für die Verkehrswende und mehr Güter auf der Schiene.

Hilfe, wir werden permanent mit schwarzen Würfeln beworfen, als würde jemand das Paketdepot ausräumen und die Frachtstücke mutwillig auf die Fahrbahn schleudern. Im Screen unseres autonom fahrenden MAN-TGX, zweite Generation, Spitzname „Berta“ wird in einer Pixelwolke die Umgebung dargestellt, wie sie die Sensoren aus Lidar und Kamera wahrnehmen. So ganz anders wie wir mit dem menschlichen Auge. Denn das sind keine schwarzen Pakete! Was als solches digital anmutet, sind nichts anderes als die tückischen Reflexionen und Spiegelungen an diesem regennassen und auch für jede Fotooptik extrem schwierigen Demo-Tag auf dem MAN-Testgelände nahe der Zentrale an der Dachauerstraße am Stadtrand von München.

Dass der Truck, dem unser Fahrer gerade per Taste „lange Leine gelassen“ hat, sprich das Lenk- und Fahrregime übergeben hat, nicht ständig in die Eisen steigt, liegt daran, dass ihm keines der „Pakete“ so nahe kommt, dass der an der Kabinenrückwand untergebrachte Rechner Anlass für Eingreifen „sehen“ würde. So stuckert der autonom fahrende Truck brav sein nicht allzu komplexes Fahrprogramm auf dem menschenleeren Areal ab. Absolviert etwa automatisch ein Ausweichmanöver um ein links stehendes Fahrzeug herum, erkennt später ein weiteres Mobil und zieht autark nach links. Manchmal meint man der Elektronik noch ein Zögern in der Interpretation der Situation anzumerken. Dann ruckelt es etwas im Antrieb. Ein vorausschauender Fahrer jedenfalls bekommt das geschmeidiger hin.

Der Truck muss Augen und Ohren bekommen

Aber genau das ist, was der Vorstand für Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus, Dr. Frederik Zohm meint, wenn er bei der Präsentation der Zwischenergebnisse des ANITA-Projekts mit der Deutschen Bahn und dem Hochschule Fresenius erklärt, der Lkw müsse Augen und Ohren bekommen. Und im Zweifel mit den Ausnahmen von der Regel im Straßenverkehr klarkommen. Bis zum Ende des Jahrzehnts, so schätzt er, könnte es noch dauern, bis man mit einem autonomen Fahrsystem für Terminal-Anwendungen in Serie gehen könne.

Das sagt Zohm im vollen Bewusstsein, dass die Lidar- und Kameratechnologie und ihre „Fusion“ mächtige Fortschritte gemacht hat, die man etwa beim Berta-Nachfolger Newton mit deutlich modernerer Elektronikarchitektur auch mit dem bloßen Auge erkennt. Deutlich kompakter sind die Sensoren am Dach und der Flanke des Trucks, dabei zugleich aber viel leistungsfähiger. Ein Scan der Umgebung ist mit 1,2 Millionen Pixeln bereits „hochgenau“, wie es im Fachjargon heißt. Die Sensorik sortiert Fahrbahn, Bäume, ein Ast, eine Fahne, vor allem aber auch Fußgänger oder Radfahrer auseinander. Soll man ausweichen oder anhalten, das ist für den Rechner die Frage. Immer näher rückt man an das Leitbild des echten Fahrers, eine Szene „interpretieren“ zu können, wie die Verantwortlichen erklären. Und am Ende prädizieren oder antizipieren zu können, was als nächstes Wohl passiert. Sicher und schnell soll das System reagieren, erklären die MAN-Ingenieure.

Komplexe „Missionsplanung“ im Terminalbetrieb

Auf die Effekte der Skalierung der Zahl von eingesetzen Lkw weist auch Prof. Dr. Christian T. Haas von der Hochschule Fresenius hin. Das könnte ganz andere Ergebnisse und Szenarien bringen, beschreibt er. Man habe es mit einer „komplexen Prozesslandschaft“ zu tun, auch wenn der Betrieb auf einem Bahnterminal, der mit dem Projekt automatisiert werden soll, für den Außenstehenden „simpel“ wirkt. Die „Missionsplanung“ sei viel komplexer als es scheint, man arbeite hier mit einem „finiten Datensatz“, der Lkw könne sich keine zusätzlichen Infos im Betrieb einholen. Daher müsse man alle Eventualitäten vorausplanen und ihm antrainieren.

Und was bringt der ganze Aufwand? Sehr viel, findet Dr. Sigrid Nikutta, Vorstand Güterverkehr der Deutschen Bahn AG und Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG, die den großen Bogen spannt. Auf kurzen Strecken sei der Lkw nicht zu ersetzen, lange Strecken sind aber klimafreundlicher mit der Bahn zu bewältigen. Für die Schnittstelle der Umladung von der Straße auf die Schiene brauche es effizientere Prozesse. Insofern sieht sie in ANITA nicht weniger als ein Schlüsselelement der Verkehrswende und für mehr Klimaschutz.

Kombiverkehr mit gewaltigem Potenzial – wenn man automatisiert

Der Kombiverkehr böte gewaltiges Potenzial und ersetze schon heute zehn Millionen Lkw-Fahrten in Deutschland. Die 220 Terminals seien aber gut ausgelastet. Wenn man hier weiter vorankommen wolle, führe kein Weg an Automatisierung der Prozesse vorbei. Dann könne man auch an Rund-um-die-Uhr-Betrieb denken. Autonom, digital, schnell, das ist Nikuttas Maxime des Handelns im Terminalverkehr der Zukunft. Das ANITA-Projekt soll eine Blaupause liefert, die sich auf Deutschland und Europa übertragen lässt. Einstweilen hat derweil Berta ihren Job getan, hat sich von noch so vielen Paketwürfen nicht irritieren lassen – und kommt, als es kurz mal aufhört zu regnen, schon deutlich geschmeidiger klar mit den moderaten Aufgaben, die ihr an diesem Tag der Projekthalbzeitbilanz gestellt wurden. Müde wirkt Berta dabei kein bisschen. Sie könnte rund um die Uhr weiter rollen.

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