Bei einem Unfall starben 2017 zwei Feuerwehrleute aus Kloster Lehnin. Das Landgericht Potsdam milderte das Urteil aus erster Instanz gegen den Fahrer nun ab
Nur noch gut 50 Kilometer bis nach Hause. Berufskraftfahrer Stefan M. aus Berlin lädt seine Fracht in Ludwigsfelde ab. Er hat die vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten. Dennoch wird er müde, es ist mitten in der Nacht. Die Strecke, die er hinter sich hat, war lang und langweilig. Immer schnurgerade die Autobahn aus Richtung Hessen entlang. Er will nur noch in sein Bett. Eigentlich sollte er auf einen Parkplatz fahren, „für ein kurzes Schläfchen“, wie es die Richterin nennt. Aber was sind schon 50 Kilometer? Er ignoriert, wie seine Augenlider schwer werden, stellt den Tempomat ein. Dabei raubt ihm die Automatik die Aufmerksamkeit nur weiter.
Sein schwerer Lkw mit eingeschaltetem Tempomat – „das ist eine Waffe“, sagt die Vorsitzende Richterin Ulrike Phieler-Morbach. Eine Waffe auf Rädern, die am 5. September 2017 gegen 3.55 Uhr auf der Autobahn 2 zwischen den Anschlussstellen Brandenburg und Netzen die beiden Feuerwehrleute Philipp R. und Sebastian K. aus Kloster Lehnin (Potsdam-Mittelmark) tötet und einen weiteren schwer verletzt. Die Ehrenamtler sind bei einem Unfall auf der Autobahn im Einsatz, als der im Cockpit eingeschlafene Stefan M. mit seinem Laster ungebremst in die hell erleuchtete, weithin sichtbare Unfallstelle rast und ein Einsatzfahrzeug zum Umstürzen bringt, das Philipp R. und Sebastian K. unter sich begräbt. Die beiden Familienväter werden nur 23 und 38 Jahre alt. Der 58 Jahre alte Mann, der ihren Tod verursacht hat, muss nun zwei Jahre in Haft.
Als die Vorsitzende Richterin Ulrike Phieler-Morbach am Dienstag in Saal acht des Potsdamer Landgerichts das Strafmaß in dem Berufungsprozess verkündet, schütteln die Angehörigen auf der Nebenklagebank und auch Feuerwehrleute im Zuschauerraum die Köpfe. Das ist weniger als in der ersten Instanz, die zweieinhalb Jahre Haft für den Berliner verhängte. Und für die Angehörigen deshalb schwer zu ertragen.
„Für die Hinterbliebenen ist es schwer zu verstehen, dass der Tod zweier Menschen mit zwei Jahren Haft abgegolten sein soll“, sagt Nebenklage-Anwalt Lutz Körner nach der Urteilsverkündung. Er hatte beantragt, dass die vom Amtsgericht Brandenburg/Havel im Dezember 2018 verhängte Strafe aufrechterhalten wird. Trotzdem sei das jetzige Urteil für ihn als Juristen akzeptabel, „es ist vergleichbar mit anderen Urteilen“, sagt Körner, der eine Hinterbliebene vertritt. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung waren in Berufung gegangen. Die Anklage hatte eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten gefordert, die Verteidigung eine Bewährungsstrafe von maximal drei Jahren.
Für die Hinterbliebenen sei der Tod der beiden jungen Männer ein schwerer Schicksalsschlag, so die Richterin. Der Fahrer habe Leid über die Familien gebracht. Auch der Feuerwehrmann, der bei dem Unfall schwer verletzt wurde, leide noch heute unter den Folgen, könne nicht arbeiten.
Der Fahrer war nüchtern – wahrscheinlich
Aber, erklärt Phieler-Morbach: Das Gericht müsse „nüchtern und objektiv“ versuchen, sich in die Situation hineinzuversetzen. Und dazu zählt auch anzunehmen, dass Stefan M. zum Unfallzeitpunkt nüchtern war. Dass er tatsächlich nichts getrunken hatte, lässt sich nicht nachweisen: Die Polizei hatte es versäumt, einen Alkohol- und Drogentest bei dem Fahrer anzuordnen, der zuvor noch nie einen Unfall gebaut hatte. Zu seinen Gunsten legte das Gericht auch aus, dass er selbst schwere psychische Folgen davongetragen habe und aller Voraussicht nach seine Existenz als Berufskraftfahrer beendet ist.
Aber: Auf Bewährung hätte das Gericht die Strafe nur dann aussetzen können, wenn es davon hätte ausgehen können, dass der Angeklagte die durch das Urteil ausgesprochene Warnung ernst nimmt. Gleich beim ersten Verhandlungsprozess vergangenen Dezember in Brandenburg/Havel allerdings tat Stefan M. etwas, „was vielen den Atem stocken ließ“, so Berufungsrichterin Phieler-Morbach. Der Berliner, der gerade bei der Anklageverlesung gehört hatte, was ihm zur Last gelegt wird, der die traumatisierten, mit den Tränen kämpfenden Hinterbliebenen im Gerichtssaal gesehen hatte, setzte sich anschließend hinter das Steuer seines Autos und fuhr davon – obwohl ihm nach dem tödlichen Unfall der Führerschein abgenommen worden war. „Das zeugt von mangelnder Empathie und Sensibilität gegenüber den Angehörigen“, erklärt die Richterin. Und auch von „Unverfrorenheit“, vor den Augen der Justiz einen Rechtsbruch zu begehen. M.s Fahrt vom Gerichtshof war von Zeugen beobachtet und gefilmt worden.
Auch dass der Berliner relativ kurze Zeit vor dem Unfall wegen Geschwindkeitsübertretungen aufgefallen war und – wegen des Erschleichens von Leistungen – zwar nicht einschlägig, aber dennoch vorbestraft sei, habe für das Gericht eindeutig gegen eine Bewährungsstrafe gesprochen.
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