„In der Fahrschule waren nicht wenige, denen man eigentlich keine 3500 Euro bezahlen möchte“

Mona Smeets ist Lkw-Fahrerin und Spediteurin. Sie erklärt, was unter Berufskraftfahrern wirklich für Frust sorgt. Und was sich ändern muss, damit auch der Nachwuchs bereit ist, den bei vielen unbeliebten Job zu machen.

Allein in Deutschland fehlen laut dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) aktuell 120.000 Lkw-Fahrer. Jedes Jahr gehen dem Verband zufolge 30.000 Berufskraftfahrer in Rente, nur 15.000 Fahrer kommen hinzu. Mona Smeets ist Spediteurin in einem Familienunternehmen, der Spedition Smeets. Und sie ist selbst Lkw-Fahrerin. Ein Gespräch über den für manche unattraktivsten Arbeitsplatz Deutschlands – der zugleich systemrelevant ist.

WirtschaftsWoche: Frau Smeets, Sie sind Spediteurin – und Lkw-Fahrerin. Könnten Sie sich vorstellen, in Vollzeit als Berufskraftfahrerin zu arbeiten?
Mona Smeets: Nein. Ich fahre dann, wenn bei uns Not am Mann ist – wenn Engpässe durch Krankheit oder Urlaub entstehen.

Aber Speditionen suchen händeringend Lkw-Fahrer. Auch Ihre.
Das stimmt, es wird immer schwieriger, Personal zu finden. Vor allem Fahrer, die auch noch im Lkw übernachten wollen. Wie jede Spedition suchen wir Leute, aktuell haben wir drei Lkws auf dem Hof stehen, die keinen Fahrer haben. Manchmal müssen wir Aufträge ablehnen. Oder ich springe eben selbst als Fahrerin ein und übernehme einen Auftrag.

Was können Speditionen anbieten, um Fahrer zu locken – außer Wechselprämien, wie es sie vielerorts gibt?
Das Gehalt ist für die meisten Fahrer wirklich nur ein Teil des Gesamtpakets. Viele Spediteure würden ihren Fahrern gern noch mehr zahlen, aber uns sind oft die Hände gebunden. Wir müssen die Mauterhöhungen und Kraftstoffpreise schon in unseren Frachten weitergeben. Die Industrie blockt weitere Preiserhöhungen ab, das geht zulasten der Gehälter.

Was sollten Fahrer verdienen?
3500 bis 3700 Euro sind durchaus angebracht. Natürlich kommt es auf das genaue Tätigkeitsprofil an. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Fahrer oft ungelernt sind und lediglich den Lkw-Führerschein haben. Als ich selbst den Lkw-Führerschein gemacht hab, gab es in der Fahrschule auch nicht wenige, denen man eigentlich keine 3500 Euro bezahlen möchte. Die lagen mit dem Kopf auf dem Tisch und haben geschlafen. Das gehört auch zur Wahrheit dazu.

Dabei braucht die Branche dringend motivierten Nachwuchs. Die Abbrecherquote bei den Auszubildenden zum Berufskraftfahrer ist jedoch hoch.
Viele wollen zum Feierabend zuhause sein. Das ist wirklich ein großer Unterschied zu früheren Generationen. Und viele junge Leute sind nicht mehr bereit, körperlich anzupacken. Das ist auch oft ein Thema. Wenn die hören, dass wir Stahl fahren – das schreckt auch direkt ab.

Sie sagen: Vielen Fahrern geht’s nicht nur ums Gehalt. Der Job ist bekanntermaßen hart und sorgt für Unzufriedenheit bei den Fachkräften. Was ist das größte Ärgernis – teure Toiletten, schmutzige Rastplätze, die elendige Suche nach einem Parkplatz zum Übernachten?
All das natürlich, aber tatsächlich ist eines der größten Probleme, wie die Fahrer an den Rampen und in den Werken behandelt werden. Das führt extrem oft zu Frust. Da gibt es in den Unternehmen häufig Lagerarbeiter, die sich in Machtspielchen gegenüber den Fahrern üben, sich überordnen wollen. Das kann beispielsweise sein, dass sie die Berufskraftfahrer extrem lange warten lassen. Ich habe selbst schon oft am Telefon mitbekommen, wie mit den Fahrern gesprochen wird – und dann bei den Kunden angerufen und gesagt, dass das so nicht geht. Die fehlende Wertschätzung ist wirklich immens.

Also ist das nicht nur ein Problem in den Unternehmen, sondern ein gesamtgesellschaftliches?
Ja, das Bild hierzulande ist: Der Lkw-Fahrer, das ist der dicke Manni im Unterhemd, dem die Hose im Kniegelenk sitzt. Für Jugendliche ist der Job deshalb keine Option. Das müssen wir dringend ändern. Wir könnten von den Niederlanden lernen, dort gelten die Fahrer als Chauffeure, sie bekommen Kaffee beim Kunden angeboten – nur wenige Kilometer von uns entfernt.

Was müsste sich noch ändern, damit sich Fahrer wieder mehr wertgeschätzt fühlen?
Das leidige Thema der Be- und Entladung spielt auch eine Rolle. Gerade bei Discountern oder Baumärkten ist es häufig so, dass Fahrer den Schlüssel zu einer Elektroameise in die Hand gedrückt bekommen und das dann selbst erledigen sollen. Das gehört aber nicht zu den Pflichten eines Berufskraftfahrers. Aber viele Speditionen sagen: Ist uns egal. Und die Auftraggeber wissen: Irgendein Dummer wird’s schon machen. Deshalb wird diese Praxis beibehalten. Da bräuchte es mehr Regulierung.

Wenn Sie selbst fahren: Entladen Sie Ihren Lkw an der Rampe?
Es ist in Ordnung, wenn das im Auftrag von Anfang an ersichtlich ist. Ich halte im Zweifel immer Rücksprache, ob das meine Aufgabe ist. Aber wie gesagt: Ich bin kein Fan davon, das sollte abgeschafft werden. Die Unternehmen sollen endlich mehr Mitarbeiter in den Lagern einstellen. Sie sparen sich das Personal, das geht zulasten der Lkw-Fahrer.

Während der Pandemie haben viele Unternehmen ihre Aufenthaltsräume für Lkw-Fahrer geschlossen. Sind die jetzt wieder zugänglich?
Das hat sich verbessert, aber nicht der Zustand der Räume. Vielleicht liegt es daran, dass ich eine Frau bin und es noch schlimmer wahrnehme – aber das ist wirklich teils menschenunwürdig, was Lkw-Fahrern da zugemutet wird. Es gibt Sanitärräume, die sind nicht nutzbar. Mir werden oft die Räumlichkeiten des Unternehmens angeboten – was ich zwiegespalten sehe, denn diesen Standard sollten alle bekommen, nicht nur ich als Frau.

Laut einer bundesweiten Erhebung aus dem Jahr 2018 im Auftrag des Verkehrsministeriums kommen auf etwa 71.000 Lkw-Abstellmöglichkeiten gut 94.000 nachts abgestellte Lkw – eine Lücke von 23.000. Etwa 3000 Stück mehr sollen es seitdem sein. Dennoch wird’s ab 17 Uhr schwierig mit einem Parkplatz, oder?
Nein, schon ab 15 Uhr wird’s eng. Ich habe zuletzt im Januar im Lkw übernachtet. Da war ich nur mit der Zugmaschine unterwegs und musste dennoch fünf Rastplätze anfahren. Wenn man dann klassisch mit dem Auflieger unterwegs ist und noch dazu der Tachograph piept, weil man Pause machen muss – das ist eine untragbare Stresssituation für die Kraftfahrer. Und ein riesiges Sicherheitsrisiko – oft stehen die in zweiter Reihe oder in den Auf- und Zufahrten. Es gibt immer wieder Unfälle. Die Situation erzeugt viel Frust. Kommunen müssten in die Pflicht genommen werden, beim Erschließen neuer Industriegebiete auch Lkw-Parkplätze und Sanitäranlagen zu planen.

Spediteure beklagen sich über Konkurrenz aus Osteuropa, die mit Dumpinglöhnen deutsche Unternehmen unter Druck setzten. Gemäß dem Motto: Der Billigste bekommt den Auftrag.
Das sehe ich auch sehr kritisch. Man merkt es bei Ausschreibungen. Es kommt nicht an die Öffentlichkeit, wer welche Ausschreibung gewonnen hat – aber wir sehen ja, welche Lkws dann in die Werke hinein- und aus ihnen herausfahren. Das nimmt derzeit Überhand. Und es sind wirklich oft Centbeträge und nicht Hunderte Euro, um die es geht.

Viele ausländische Fahrer würden ja an sich gerne für deutsche Speditionen arbeiten. Letztere beklagen die Bürokratie, sie einzustellen.
Ja, die Bürokratie stiftet richtiges Chaos. Ein italienischer Mitarbeiter musste kürzlich seinen Führerschein neu beantragen – er lebt hier, und trotzdem war es ein Desaster mit dem Verkehrsamt. Wir haben sechs Wochen gebraucht, um nur einen Termin für den Führerschein zu bekommen. Lkw-Fahrer, die nicht perfekt deutsch sprechen, werden hängen gelassen. Aber es ist keine Lösung, nur noch ausländische Mitarbeiter einzustellen. Wir müssen dafür sorgen, dass Berufskraftfahrer in Deutschland wieder mehr Anerkennung bekommen.

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