In sein neues Flaggschiff hat Mercedes-Benz alles an Assistenzsystemen eingebaut, was die moderne Fahrzeugtechnik in Marktreife zu bieten hat. Der schwere Actros unterstützt den Lenker damit optimal bei seinen Aufgaben und zeigt sich in Sachen Technik und Ausstattung überlegen: Teilautomatisiertes Fahren nach Level 2 ist damit Wirklichkeit geworden.
Flottenmanager kennen das Problem: Lkw-Fahrer sind schwer zu finden, gute Fahrer überhaupt eine extreme Seltenheit. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Die Konsequenz für den Fuhrparkmanager ist, dass man
oft mit ungeübtem Fahrpersonal konfrontiert ist. Nicht zuletzt deshalb geht der Trend dahin, das lenkende Personal mit hochwertigen Fahrzeugen belohnen zu wollen und ans Unternehmen zu binden. Darüber hinaus sollen neben dem inzwischen selbstverständlichen Automatikgetriebe auch diverse Assistenzsysteme den Fahrer im Alltag unterstützen
Mercedes-Benz hat mit dem neuen Actros einen Meilenstein in Sachen Sicherheit und Fahrerassistenzsysteme gelegt. Er ist wohl der derzeit modernste Lkw auf Europas Straßen. Gleich von außen sichtbar sind die elektronischen Seitenspiegel, zwei Kameras, die auf schmalen Fühlern von der Kabine abstehen. Das verringert nicht nur den Luftwiderstand, sondern verbessert auch in Tunnels die Sicht nach hinten. Durch die sogenannte Trailerverfolgung bleibt auch das Ende des Aufliegers ständig im Sichtfeld, ohne den Blick zwischen der oberen und unteren Spiegelzone zu wechseln. Distanzmarkierungen im elektrischen Spiegeldisplay helfen dabei, die Entfernung von herannahenden Fahrzeugen gut einschätzen zu können. Außerdem lässt sich über eine einstellbare Linie auch das Ende des Aufliegers im Spiegelbild anzeigen – so kann der Fahrer die Entfernung nach hinten beim Rangieren leichter abschätzen. Und nachts auf dem Parkplatz lassen sich die Außenkameras auch einfach von der Liege aus aktivieren. So kann der Fahrer vom Bett aus die Umgebung seines Fahrzeugs kontrollieren, ohne auszusteigen oder auch nur den Vorhang zur Seite zu schieben – Langfinger, die sich an der Ladung zu schaffen machen wollen, können so ohne jedes Sicherheitsrisiko ertappt werden. Das dürfte sich wohl auch bei selbigen bald herumsprechen und man kann davon ausgehen, dass Kriminelle deshalb Lkw mit elektrischen Außenspiegeln tendenziell eher meiden.
Modernste Sicherheitsassistenten
Die absoluten Highlights des neuen Actros verbergen sich jedoch im Inneren des Fahrzeugs. So setzt beispielsweise der optionale Notbremsassistent „Active Brake Assist“ in der fünften Generation, kurz genannt „ABA 5“, neue Maßstäbe. Innerhalb der Systemgrenzen soll das Fahrzeug eine automatisierte Notbremsung auf stehende Hindernisse selbst bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h bewerkstelligen können. Und auch für Fußgänger leitet das System automatisiert eine Vollbremsung bis zum Stillstand ein – das ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal bei schweren Nutzfahrzeugen. Der ABA 5 dürfte damit im wahrsten Sinne des Wortes Leben retten. Statistischen Auswertungen von Daimler zufolge gab es in den Jahren 2017 und 2018 insgesamt eine Million Teilnotbremsungen und zehntausend automatisiert ausgelöste Vollbremsungen. Zusätzlich leitete das Assistenzsystem ABA 4, der Vorläufer des heutigen ABA 5, in nur zwei Jahren insgesamt 150.000 Warnbremsungen auf Fußgänger ein. Selbst wenn nur ein Bruchteil dieser Ereignisse zu einem Unfall geführt hätte, verdeutlichen diese Zahlen doch, welcher Schaden für Menschen und Material durch solche Assistenten abgewendet werden kann.
Ein weiteres Highlight im neuen Actros ist der aktive Spurhalteassistent und der Active Drive Assist. Basis dafür ist eine elektrohydraulische Lenkung. In Verbindung mit entsprechenden Kameras und Computersystemen sind dadurch selbständige, aktive Lenkeingriffe möglich – der Spurhalteassistent greift also direkt in die Lenkung ein, um das Fahrzeug zurück in die Spur zu bringen. Noch vorausschauender agiert der Active Drive Assist, der in Verbindung mit dem Abstandsregeltempomaten ACC arbeitet. Erstmals in einem Serien-Lkw überhaupt berücksichtigt dieses System nicht nur den vorausfahrenden Verkehr, sondern hält das Fahrzeug selbstständig und vorausschauend in der Fahrspur – theoretisch ohne Lenkeingriffe. Aus Sicherheitsgründen muss der Fahrer jedoch die Hände am Steuer lassen und jederzeit in der Lage sein, zu übernehmen. Dabei ist nicht zu vergessen, dass es sich lediglich um ein Assistenzsystem handelt: Der menschliche Lenker bleibt in der Verantwortung und voll haftbar. Allerdings unterstützt das System den Fahrer hervorragend: Wie von Geisterhand gelenkt, läuft der Actros auf der Autobahn wunderbar in der Spur, die Hand liegt lediglich leicht am Lenkrad an. Dabei lässt sich sogar einstellen, ob der Computer das Fahrzeug mittig oder am rechten oder linken Rand des Fahrstreifens hält. Nur ab und zu, in den vergleichsweise engen Kurven der S6 Richtung Semmering, tut sich der Active Drive Assist etwas schwer damit, die Spur sauber zu halten. Mit minimalen Lenkeingriffen durch den Fahrer ist das aber schnell ausgeglichen. Die Grenzen des Systems zeigen sich naturgemäß in Baustellenbereichen, wo oft mehrere Bodenmarkierungen vorzufinden sind. Hier lässt sich der ADA jedoch ganz einfach abschalten. Und dort, wo überhaupt keine Markierungen erkennbar sind, wird der Lenker durch einen Warnton und eine Anzeige im Display zum sofortigen Übernehmen der Steuerung aufgefordert.
Ebenfalls eine gelungene Sache ist der optionale Totwinkel- beziehungsweise Abbiegeassistent. Dabei erscheint ein dreieckiges gelbes Warnsymbol direkt im rechten Spiegeldisplay, sobald sich ein bewegliches Objekt, beispielsweise ein Radfahrer oder Fußgänger, im Gefahrenbereich rechts neben dem Lkw befindet. Setzt der Fahrer dann den Blinker, wird das Symbol rot und es ertönt ein gut hörbares Warnsignal. Auch von diesem System ist zu erwarten, dass es zahlreiche Leben retten wird. Mercedes-Benz ist damit dem Markt und dem Gesetzgeber weit voraus, denn ein Totwinkelassistent wird in neuen Fahrzeugtypen erst ab 2022 verbindlich vorgeschrieben. Im Lichte der anhaltenden öffentlichen Diskussion rund um die Verkehrssicherheit schwerer Nutzfahrzeuge können Frächter mit dem Abbiegeassistenten aber schon jetzt ein deutliches Zeichen für mehr Sicherheit setzen. Außerdem ist zu erwarten, dass sich der Aufpreis für das System durch Förderungen abmildern lässt.
Modernes Cockpit
Nein, der Fahrerarbeitsplatz im neuen Actros hat mit jenem eines Nutzfahrzeugs aus dem letzten Jahrtausend wenig gemeinsam: Die große GigaSpace-Kabine ohne Motortunnel bietet nicht nur reichlich Wohn- und Stauraum, sondern auch beste Bedienbarkeit durch modernste Technik. Anstelle der klassischen Instrumentenkonsolen kann der neue Actros mit einem Multimedia-Cockpit ausgestattet werden, das im Kern aus zwei großen Displays besteht. Am Fahrerdisplay direkt über der Lenksäule lassen sich die wichtigsten Anzeigen, wie Geschwindigkeit, aktueller Gang und Drehzahl, ablesen. Auch die bereits verstrichene Lenkzeit wird eingeblendet und die Einstellungen für Tempomat, ACC sowie Active Drive Assist können hier über die Tasten am Multifunktionslenkrad verändert werden.
Rechts des Lenkrads befindet sich das zweite Display, mit dem weitere Fahrzeugeinstellungen getätigt werden können. Außerdem lassen sich darüber das Infotainmentsystem, Navigation und Klimaanlage steuern. Über Android Auto oder Apple CarPlay kann auch die Anzeige eines Smartphones auf diesen Bildschirm übertragen werden. Für Selbiges gibt es natürlich einen USB-Anschluss, eine induktive Ladeschale befindet sich am Armaturenbrett.
Fazit
Nicht nur die elektrischen Außenspiegel, auch der Active Drive Assist konnte auf unserer knapp viereinhalbstündige Testfahrt überzeugen. Das System arbeitet unaufdringlich, als Lenker hat man dabei stets die Kontrolle über das Geschehen. Dennoch ermüdet man beim Fahren nicht so sehr, denn die korrigierenden Lenkeingriffe, um das Fahrzeug in der Spur zu halten, übernimmt das Auto weitgehend selbst.
Da sich der Active Drive Assist nur in Verbindung mit dem Abstandsregeltempomaten ACC aktivieren lässt, sind wir den Großteil unseres Tests damit gefahren – eine unübliche Praxis für unsere Messfahrten, denn die automatisierte Tempoanpassung hat Einfluss auf den Spritverbrauch. Hinzu kamen diesmal auch einige Behinderungen durch Baustellen auf unserer Teststrecke, die den Verbrauch ebenfalls etwas beeinflusst haben. Einen absoluten Spritsparrekord hatten wir aber ohnehin nicht erwartet, denn Daimler brachte zum Test sein stärkstes Fahrzeug mit, ausgerüstet mit der größten Kabine und aerodynamisch wenig vorteilhafter Sonnenblende. Es dürfte daher wohl auch in Stuttgart niemand ernstlich mit einem Rekordergebnis beim Dieselkonsum gerechnet haben. So haben wir auch den Eco-Modus beim Tempomaten über den größten Teil der Strecke deaktiviert – schließlich wollten wir dem 630 PS starken Boliden Gelegenheit geben, seine Kraft zu entfalten, anstatt uns mühsam durch die Alpen zu schleppen. Angesichts des zuvor Gesagten ist ein Verbrauchswert von nur 26,8 Litern Diesel auf 100 Kilometer ein hervorragendes Ergebnis. Da Daimler bei der Euro-6-Abgasnachbehandlung auf eine Abgasrückführung setzt, fällt auch der AdBlue-Konsum mit nur 1 Liter je 100 km sehr niedrig aus.
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