Mädchen spielen mit Puppen, Jungs mit Autos. War früher so, ist auch heute noch häufig der Fall. Da war Nils Rath keine Ausnahme.
Aber sein Opa und sein Onkel haben ganz viel dazu beigetragen, dass die Lieblingsautos bei Nils noch eine Runde größer ausfallen. Denn: Schon als Dreijähriger ist er bei den beiden im Lkw mitgefahren. Ergebnis: Er sitzt jetzt selbst hinter einem Lkw-Steuer und hat daran Spaß ohne Ende. So weit, so normal. Aber: Nils ist nicht wie jeder anderer Kutscher. Nils ist von Geburt gehörlos.
Trotzdem: Bei allem, was er im Vorfeld getan hat, war bei ihm immer der Lkw im Hinterkopf. „Ich wollte das immer, das war mein Traum und den hab ich mir erfüllt“, sagt er mit den Händen, Vater Michael übersetzt die Gebärdensprache. Aber ganz so einfach, wie sich das anhört, war das alles nicht.
Nachdem Nils seinen Hauptschulabschluss gemacht hatte, sollte er nach Husum in ein Berufsbildungswerk für Gehörlose – so der Vorschlag des Integrationsfachdienstes beim LWL. „Wir und auch Nils waren dagegen“, erzählt Vater Michael Rath. Nils machte sich selbst auf die Suche nach einer Lehrstelle. Er hätte bei der Firma Weilke in der Werkstatt oder bei den Stadtwerken Münster als Rohrleitungsbauer eine Ausbildung absolvieren können. „Der Integrationsfachdienst meinte, beides sei zu gefährlich für einen Gehörlosen“, erzählt Michael Rath. Dieser Dienst vermittelte eine Lehrstelle als Lagerist bei Lernen fördern, die Nils dann auch mit 19 Jahren erfolgreich absolvierte. „Spaß hat die Arbeit nicht gemacht“, so Nils.
Und der bewarb sich dann bei einer Spedition in Nottuln für eine Lehrstelle als Berufskraftfahrer – und wurde prompt genommen. „Meine Frau und ich waren total baff, als Nils mit dieser Nachricht kam“, erzählt Michael Rath.
Doch schnell gab es Probleme – in der Berufsschule. Denn ohne Dolmetscher hatte Nils keine Chance dem Unterricht zu folgen. Ein entsprechender Antrag wurde von der Arbeitsagentur abgelehnt mit dem Hinweis, dass Nils ja schon eine Ausbildung absolviert habe. Die Familie klagte und bekam Recht. Das dauerte allerdings, in der Zwischenzeit bot sich Vater Rath als Dolmetscher an. „Das hätte ich mit Urlaub und Schichtwechseln irgendwie hin bekommen.“ Aber: Das wurde aus „datenschutzrechtlichen Gründen“ abgelehnt.
Den Lkw-Führerschein hatte Nils in der Zwischenzeit bestanden und machte das, woran er am meisten Spaß hatte: Lkw fahren. Er beliefert Kunden in Firmen oder in Privathaushalten, mit den Kollegen oder dem Disponenten verständigt er sich per WhatsApp oder schriftlich, auch bei den Kunden gibt es überhaupt keine Probleme. Und auch die Zwischenprüfung schafft er, nachdem er einen Nachteilsausgleich beantragt hatte.
„Dieser Antrag bezog sich auf die Zwischenprüfung und die Abschlussprüfung“, weiß Michael Rath. Aber: Bei letzterer bestand der Prüfer darauf, dass dieser Antrag nicht gestellt worden sei. Es folgten Beschwerden beim Behindertenbeauftragten in Berlin und in Düsseldorf. Nils versemmelte die Prüfung und muss sie im Dezember wiederholen.
Und wenn er die nicht schafft? „Dann mach ich den 140-Stunden-Kursus, den Berufskraftfahrer benötigen und fahre weiter Lkw“, ist sich Nils sicher. Denn für ihn gibt es nichts Schöneres auf der Welt, als hinter dem Lenker eines Lkw zu sitzen.
Und sein Boss? Der will unbedingt, dass Nils bei im weiter fährt.
Quelle dieses Artikels klick hier : Westfälische Nachrichten