Es fehlen tausende Berufskraftfahrer für schwere Fahrzeuge in Europa. Aber warum ist das so und was kann man dagegen tun? Im Folgenden der Versuch einer ganzheitlichen Betrachtung.
Europaweit fehlen mittelfristig bis zu 150.000 Lkw-Lenker, insbesondere im Fernverkehr, soweit die Bestandsaufnahme. Erklärungsversuche und Lösungsansätze zielen oft auf das schlechte Image des Fahrerberufs ab, das es zu verändern gelte. Aber woher kommt dieses schlechte Image eigentlich? Ist das alles nur eine Frage des Marketings?
In der Wirtschaft beruht die Preisbildung auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Jeder Unternehmer kennt das. Weniger beliebt ist das Erklärungsmodell, wenn es um Phänomene wie den Fachkräftemangel geht. Dabei ist die Preisbildung am Arbeitsmarkt nicht nur allein in Geld zu bemessen, denn es gibt durchaus Berufe, in denen man weniger verdient als es Lkw-Fahrer tun. Es ist vielmehr ein Gesamtpaket, das sich aus dem Verhältnis der Arbeitsbedingungen zur Entlohnung ergibt. Und die Frage ist, ob dieses Preis-Leistungsverhältnis im Fernverkehr für Menschen in westeuropäischen Hochlohnländern noch attraktiv ist. Die Antwort ist: Nein!
Ich habe mich unlängst mit einem Fuhrparkmanager einer größeren Spedition unterhalten. Diese beschäftigt größtenteils Fahrer aus dem EU-Ausland, vor allem aus Rumänien. Die Fahrer sind drei Wochen am Stück unterwegs, die verkürzten Wochen-Ruhezeiten verbringen sie in der Kabine, die lange Wochenendruhe – seit das verboten ist – in extra auf Parkplätzen errichteten Containerquartieren. Nach den drei Wochen haben die Chauffeure eine Woche frei, die sie meist in ihrer Heimat verbringen. Das Fahrzeug wird inzwischen sofort an den nächsten Lenker weitergegeben. Über die Hygieneproblematik während dieser dreiwöchigen Einsatzzeiten kann man nur Mutmaßungen anstellen. Welcher Autohof hat schon Duschen in ausreichender Zahl und Qualität, als dass man diese täglich benutzen möchte? Eines der Hauptprobleme im Fuhrparkmanagement waren übrigens Bettwanzen im Fahrerhaus. Wie man diese eliminiert? Da hat die Spedition eine patentreife Lösung entwickelt: Das Fahrzeug wird mit offenen Fenstern in eine Lackierkabine geschoben und dort aufgeheizt. Damit ist sämtliches Ungeziefer erledigt und der nächste Fahrer kann einziehen. Die Bezahlung für die Chauffeure sei übrigens gut, was auch immer das heißen mag. Trotzdem wäre es inzwischen schwierig geworden, Fahrer in Rumänien zu finden. Der Hoffnungsarbeitsmarkt der Zukunft ist daher die Ukraine und Weißrussland. Die Frage, ob sich jemand, der in Österreich aufwächst und hier andere Möglichkeiten vorfindet, unter solchen Bedingungen anheuern lässt, erübrigt sich. Erklärungsmuster wie jene, dass unsere soziale Hängematte zu bequem sei, als dass sich die Menschen zur Arbeit als Lkw-Fahrer bemühen, greifen zu kurz: Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt in vielen Bereichen, gerade im Fernverkehr, einfach nicht mehr!
Deregulierter Markt
Die Ursachen des Problems sind nicht zuletzt in der Deregulierung des europäischen Binnenmarktes zu suchen. Dienstleistungen und Arbeitnehmer können ihre Leistungen innerhalb der EU frei anbieten. Der Fernverkehr nimmt naturgemäß eine Sonderstellung ein: Frachtdienstleistung und Fahrerberuf sind per se mit hoher Mobilität verbunden, der Ort der Leistungserbringung erstreckt sich oft über mehrere Staaten – Staaten, in denen es ungleiche Lohnniveaus gibt ebenso wie unterschiedliche Steuersätze auf Lohneinkünfte und Kapitalgewinn. Folglich verlagern große Speditionen ihren Sitz in die für sie günstigsten Länder und heuern auch ihr Personal dort zu (für Unternehmen) möglichst günstigen Konditionen an. Es ist kein Wunder, dass in Ungarn zum Beispiel kaum Lkw-Fahrgestelle verkauft werden, dafür jedoch jede Menge Sattelzugmaschinen. Dabei kann man den Frachtfirmen nur bedingt einen Vorwurf machen: Ziel eines Unternehmens ist das gewinnorientierte Wirtschaften. Zudem muss jeder Frächter im extrem harten Konkurrenzkampf der Logistikbranche bestehen. Nicht sämtliche Optionen zur Rentabilitätsoptimierung zu prüfen – inklusive besagter Auslagerung operativer Geschäftstätigkeiten ins EU-Ausland – wäre daher womöglich auch für diese Unternehmen fatal. Wer nicht mitmacht, riskiert am Ende im Konkurrenzkampf als Verlierer übrig zu bleiben. Bei Arbeitsbedingungen und Entlohnung setzt folglich eine Spirale nach unten ein, wobei es in der Branche nur Verlierer gibt, keine Gewinner: Der Kostendruck auf die Logistiker steigt, der Konkurrenzkampf verhärtet sich und Lohn- und Arbeitsbedingungen befinden sich im freien Fall. Lachende Gewinner dieser Entwicklung sind – derzeit noch – die Transportkunden.
Lösung
Eines gleich vorweg: Nein, die Lösung kann nicht in einer Auflösung oder dem Austritt Österreichs aus der EU liegen. Zu viel wurde durch die Integration Europas erreicht. Allein schon der Wohlstand und Frieden auf dem Kontinent, den wir inzwischen als Selbstverständlichkeit wahrnehmen, ist es Wert an dem Projekt Europa festzuhalten. Gleichzeitig darf man aber die Probleme nicht ausblenden und muss sich diesen mit konstruktiven Lösungsansätzen stellen. Und es gibt Probleme, die vor allem durch einen Mix an verschiedenen Rahmenbedingungen und Regularien entstehen: Einerseits gibt es den freien Warenverkehr, die Zollunion und in vielen EU-Staaten sogar eine gemeinsame Währung. Auf der anderen Seite gibt es höchst unterschiedliche Lohnniveaus und jeder einzelne Staat betreibt seine eigene Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die zu unterschiedlichen Arbeitsbestimmungen und Steuersätzen führt. Wird über Werte und Zielsetzungen der Europäischen Union gesprochen, dann hört man auch von der Idee, dass sich die nationalen Unterschiede über einen längeren Zeitraum nivellieren. Allerdings war man wohl optimistischer Weise davon ausgegangen, dass sich die Zustände immer für alle Beteiligten zum Besseren entwickeln. Soll heißen, irgendwann verdient der ungarische, polnische oder lettische Fahrer genauso gut wie der österreichische – soweit das oft skizzierte Wunschszenario der europäischen Politik. Die Realität ist aber freilich die, dass Arbeitsplätze mit geringen Qualifikationsanforderungen häufig in Länder mit niedrigeren Lohn- und Sozialstandards ausgelagert werden. Spielt obendrein der Sitz der Firma für die Leistungserbringung keine Rolle, wie beim grenzüberschreitenden Fernverkehr oftmals der Fall, dann kommt es zu einer Nivellierung des allgemeinen Lohnniveaus nach unten.
Wenn die Wirklichkeit nicht den optimistischen Erwartungen folgt, dann ist es Zeit, mit Regularien gegenzusteuern. Der in Deutschland eingeführte Mindestlohn ist ein erster Anfang, allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es wird höchste Zeit, dass die Europäische Union soziale und arbeitsrechtliche Mindeststandards beschließt und durchsetzt, wenn man solchen europaweiten Problemen wie dem Fachkräftemangel bei Lkw-Fahrern wirkungsvoll entgegensteuern will. Das würde gleiche Rahmenbedingungen für alle, also ein ebenes Spielfeld, schaffen, bei dem niemand einen Nachteil hätte: Für alle konkurrierenden Unternehmen gelten dieselben Mindestvoraussetzungen ebenso wie für Arbeitnehmer. Einzig die Verlader müssten vielleicht in Zukunft ein paar Cent mehr pro Palette bezahlen.
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