Sie leben im Lkw, sind oft monatelang für Hungerlöhne auf Tour und ihren Chefs meistens hilflos ausgeliefert: Lkw-Fahrer, vor allem aus Nicht-EU-Ländern. Trotz eines Streiks 2023 hat sich wenig an ihrer Lage geändert.
Der Streik von 150 osteuropäischen Truckern im hessischen Gräfenhausen sorgte im vergangenen Herbst bundesweit für Schlagzeilen. Die Fahrer aus Usbekistan, Georgien, Kasachstan und Tadschikistan beklagten, dass ihnen von ihrem polnischen Spediteur teils über Monate der Lohn vorenthalten wurde. Dabei wird vielen Beobachtern klar, wie schlecht die Arbeitsbedingungen der Fahrer in der EU sind.
Am Ende bekommen die streikenden Fahrer einen großen Teil des geforderten Geldes. Doch an dem dahinterliegenden System der Ausbeutung hat sich seitdem wenig geändert, kritisieren Experten. Im Gegenteil. Bei einem Besuch auf einem Lkw-Parkplatz in Dortmund mit dem DGB-Projekt Faire Mobilität trifft das Plusminusteam einen Lkw-Fahrer aus Belarus. Er erzählt, dass er von einer litauischen Agentur angeworben wurde. Am Tag bekomme er 75 Euro – brutto. Er schläft und lebt fast durchgängig in seinem Laster, weil es schon finanziell gar nicht anders geht, berichtet er.
Recht auf westeuropäische Mindestlöhne
Ein anderer Fahrer stammt aus der Ukraine und wurde von einer slowakischen Agentur angeheuert. Die wiederum fahre für eine österreichische Spedition kreuz und quer durch Deutschland. Der Fahrer bekomme den slowakischen Mindestlohn von circa 700 bis 900 Euro, dazu kommen ein paar Spesen, sagt er. Dabei steht den Fahrern laut Faire Mobilität ein westdeutscher Mindestlohn zu. Betroffen: vor allem Fahrer aus Ländern außerhalb der EU.
Anna Weirich von Faire Mobilität beobachtet solche Zustände schon seit Jahren. „Es ist übliche Praxis. Alle Lkw-Fahrer werden so bezahlt. Sie haben auch nicht die Möglichkeit, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln, weil es den nicht gibt“, erzählt sie Plusminus. Das Team der Beratungsstelle klärt die Fahrer über ihre Rechte auf.
Fahrer sollen eigentlich alle acht Wochen zurückkehren
Es gehe nicht nur um Geld, sondern auch um ein würdiges Privat- und Familienleben, sagt der Sozialwissenschaftler Stefan Sell von der Hochschule Koblenz. Die wichtige Schutzregelung der ‚Kabotage‘, nach der die Fahrer alle acht Wochen in ihrer Heimat zurückkehren sollen, um sich zu erholen, wird nach seiner Einschätzung häufig missachtet. „Tatsächlich wissen wir aus vielen Berichten, dass diese Fahrer oftmals Monate und sogar über ein Jahr in Westeuropa von einem Ziel zum anderen hin und her jonglieren, was eigentlich rechtlich nicht zulässig ist.“
Inzwischen werden auch zunehmend Fahrer aus Asien eingesetzt. Sie sind den Launen ihrer Chefs erst recht ausgeliefert, schon wegen der Entfernung. Niederländische Gewerkschafter haben den Umgang mit ihnen bei einem Telefonmitschnitt aufgezeichnet – mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen: „Ich breche Dir das Genick, du Motherfucker! Auf den Philippinen bekommst Du gerade mal 100 Euro. Und jetzt kommst Du hierher und spielst Dich zum Helden auf! Ich komme vorbei und fi… Deine Mutter!“
Einige Agenturen verlangen vorab Geld
Der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema kämpft seit Jahren gegen diese Missstände. Mit ihm zusammen besucht Plusminus einen Autohof im osthessischen Bad Hersfeld. Ein Fahrer von den Philippinen sagt ihm, er sei schon seit acht Monaten pausenlos in der EU unterwegs und habe Angst, dass ihn die Polizei erwischt, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung habe. Zwei Fahrer aus Indien erzählen, dass sie über eine Zeitungsannonce zu ihrem Job gekommen sind. 4.000 Euro mussten sie an eine Agentur zahlen, um überhaupt herkommen zu können. Jetzt bekommen sie pro Person 1.700 Euro im Monat und fahren dafür zusammen über 21 Stunden am Tag, sagen sie.
Edwin Atema von der niederländischen Transportgewerkschaft FNV hat dafür klare Worte: „Diese Firmen sind Verbrecher. Und es ist auch verboten, Fahrer vor ihrem Job zahlen zu lassen.“
Klare Rechtslage durch das Lieferketten-Gesetz
Schon jetzt sind im deutschen Lieferketten-Gesetz alle Formen von Sklaverei oder Zwangsarbeit verboten und die Zahlung von Mindestlöhnen vorgeschrieben. Damit werden auch die Auftraggeber der Speditionen in die Pflicht genommen.
hintergrund
Osteuropäische Lkw-Fahrer Ausbeutung auf der Autobahn
Stand: 02.04.2024 09:14 Uhr
Sie leben im Lkw, sind oft monatelang für Hungerlöhne auf Tour und ihren Chefs meistens hilflos ausgeliefert: Lkw-Fahrer, vor allem aus Nicht-EU-Ländern. Trotz eines Streiks 2023 hat sich wenig an ihrer Lage geändert.
Der Streik von 150 osteuropäischen Truckern im hessischen Gräfenhausen sorgte im vergangenen Herbst bundesweit für Schlagzeilen. Die Fahrer aus Usbekistan, Georgien, Kasachstan und Tadschikistan beklagten, dass ihnen von ihrem polnischen Spediteur teils über Monate der Lohn vorenthalten wurde. Dabei wird vielen Beobachtern klar, wie schlecht die Arbeitsbedingungen der Fahrer in der EU sind.
Am Ende bekommen die streikenden Fahrer einen großen Teil des geforderten Geldes. Doch an dem dahinterliegenden System der Ausbeutung hat sich seitdem wenig geändert, kritisieren Experten. Im Gegenteil. Bei einem Besuch auf einem Lkw-Parkplatz in Dortmund mit dem DGB-Projekt Faire Mobilität trifft das Plusminusteam einen Lkw-Fahrer aus Belarus. Er erzählt, dass er von einer litauischen Agentur angeworben wurde. Am Tag bekomme er 75 Euro – brutto. Er schläft und lebt fast durchgängig in seinem Laster, weil es schon finanziell gar nicht anders geht, berichtet er.
Player: audioLKW-Fahrer gehen in Hungerstreik
Protest von Lkw-Fahrern in Hessen Im Hungerstreik an der Autobahn
Recht auf westeuropäische Mindestlöhne
Ein anderer Fahrer stammt aus der Ukraine und wurde von einer slowakischen Agentur angeheuert. Die wiederum fahre für eine österreichische Spedition kreuz und quer durch Deutschland. Der Fahrer bekomme den slowakischen Mindestlohn von circa 700 bis 900 Euro, dazu kommen ein paar Spesen, sagt er. Dabei steht den Fahrern laut Faire Mobilität ein westdeutscher Mindestlohn zu. Betroffen: vor allem Fahrer aus Ländern außerhalb der EU.
Anna Weirich von Faire Mobilität beobachtet solche Zustände schon seit Jahren. „Es ist übliche Praxis. Alle Lkw-Fahrer werden so bezahlt. Sie haben auch nicht die Möglichkeit, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln, weil es den nicht gibt“, erzählt sie Plusminus. Das Team der Beratungsstelle klärt die Fahrer über ihre Rechte auf.
Player: videoSklavenarbeit hinterm Steuer – Ausbeutung auf der Autobahn
8 Min
Sklavenarbeit hinterm Steuer – Ausbeutung auf der Autobahn
Edgar Verheyen, SR, Plusminus, 20.03.2024 21:45 Uhr
Fahrer sollen eigentlich alle acht Wochen zurückkehren
Es gehe nicht nur um Geld, sondern auch um ein würdiges Privat- und Familienleben, sagt der Sozialwissenschaftler Stefan Sell von der Hochschule Koblenz. Die wichtige Schutzregelung der ‚Kabotage‘, nach der die Fahrer alle acht Wochen in ihrer Heimat zurückkehren sollen, um sich zu erholen, wird nach seiner Einschätzung häufig missachtet. „Tatsächlich wissen wir aus vielen Berichten, dass diese Fahrer oftmals Monate und sogar über ein Jahr in Westeuropa von einem Ziel zum anderen hin und her jonglieren, was eigentlich rechtlich nicht zulässig ist.“
Inzwischen werden auch zunehmend Fahrer aus Asien eingesetzt. Sie sind den Launen ihrer Chefs erst recht ausgeliefert, schon wegen der Entfernung. Niederländische Gewerkschafter haben den Umgang mit ihnen bei einem Telefonmitschnitt aufgezeichnet – mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen: „Ich breche Dir das Genick, du Motherfucker! Auf den Philippinen bekommst Du gerade mal 100 Euro. Und jetzt kommst Du hierher und spielst Dich zum Helden auf! Ich komme vorbei und fi… Deine Mutter!“
Player: videoAusbeutung von LKW-Fahrern – Unterschiedliche Arbeitsbedingungen in der EU
Lkw-Fahrermangel Deutsche Speditionen ausgebremst
Schätzungsweise 100.000 Lkw-Fahrer fehlen in Deutschland. mehr
Einige Agenturen verlangen vorab Geld
Der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema kämpft seit Jahren gegen diese Missstände. Mit ihm zusammen besucht Plusminus einen Autohof im osthessischen Bad Hersfeld. Ein Fahrer von den Philippinen sagt ihm, er sei schon seit acht Monaten pausenlos in der EU unterwegs und habe Angst, dass ihn die Polizei erwischt, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung habe. Zwei Fahrer aus Indien erzählen, dass sie über eine Zeitungsannonce zu ihrem Job gekommen sind. 4.000 Euro mussten sie an eine Agentur zahlen, um überhaupt herkommen zu können. Jetzt bekommen sie pro Person 1.700 Euro im Monat und fahren dafür zusammen über 21 Stunden am Tag, sagen sie.
Edwin Atema von der niederländischen Transportgewerkschaft FNV hat dafür klare Worte: „Diese Firmen sind Verbrecher. Und es ist auch verboten, Fahrer vor ihrem Job zahlen zu lassen.“
Klare Rechtslage durch das Lieferketten-Gesetz
Schon jetzt sind im deutschen Lieferketten-Gesetz alle Formen von Sklaverei oder Zwangsarbeit verboten und die Zahlung von Mindestlöhnen vorgeschrieben. Damit werden auch die Auftraggeber der Speditionen in die Pflicht genommen.
09.07.2020 EU-Parlament Mobilitätspaket soll Lkw-Fahrer schützen Bessere Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer – das ist eines der Hauptziele des Mobilitätspakets. mehr
Der Großversender Amazon antwortet auf unsere Anfrage: „Wir verlangen von allen Unternehmen in diesem Netzwerk, dass sie sich an unsere Richtlinien und alle geltenden Gesetze und Vorschriften halten, und wir überprüfen die Einhaltung von Zeit zu Zeit (…) Wenn wir feststellen, dass ein Unternehmen gegen die Vorschriften verstößt, handeln wir sofort.“ IKEA Deutschland äußert sich ähnlich und droht bei Rechtsverstößen sogar mit einem Lieferstopp.
Recht haben ist noch nicht Recht bekommen
Laut Anna Weirich vom DGB gibt es dabei immer das Durchsetzungsproblem. Man brauche erst einmal einen Fahrer, der bereit sei, seine Rechte einzufordern und durchzusetzen. Die meisten Betroffenen nehmen die Ausbeutung schon aus einem ganz einfachen Grund hin, sagt Arbeitsmarktexperte Stefan Sell. „Wenn die ausländischen Lkw-Fahrer aus anderen Nicht-EU-Staaten ihren Job verlieren, dann verlieren sie auch ihre Aufenthaltsberechtigung.“
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kämpft seit Jahren für Verbesserungen. Sie fordert eine europäische Mindestbezahlung, die sich am höchsten Mindestlohn in der EU orientiert. „Das wären 110,40 Euro am Tag plus Spesen, und das müsste jeder kriegen“, sagt Tiny Hobbs von ver.di.
Die Bundesregierung teilt dazu mit, das lasse sich auf EU-Ebene wohl kaum durchsetzen. So werden wohl auch weiter Menschen in Deutschland wie Sklaven behandelt.