Der Lkw-Güterverkehr vergeudet aufgrund ineffizienter Organisation massiv Ressourcen und stößt weit mehr CO₂ aus als nötig. Doch statt moderne Technologie zu nutzen, wird noch per Mail und Telefon kommuniziert. Dabei lägen Lösungen längst bereit.
Auf den Autobahnen in den Ballungszentren lässt es sich tagtäglich beobachten: Lkw stehen in kilometerlangen Schlangen an den Abfahrten, nur um sich anschließend durch verstopfte Straßen zu den Gewerbegebieten zu quälen und ihre Ladung abzugeben. Dabei ließe sich durch eine zeitgemäße Steuerung des Transportverkehrs mancher Stau und manche Fahrt sogar gänzlich vermeiden. Dies behaupten Logistikexperten wie auch Manager von Industrieunternehmen, die den Lkw-Transport benötigen.
Selbst das Fahrerproblem, so heißt es, könne dadurch an Bedeutung verlieren. „Wir haben gar keinen so großen Fahrermangel in Europa, wie er angenommen wird. Wir haben die Fahrer nur am falschen Platz“, sagt Stephan Sieber, Vorstandschef von Transporeon, einem Dienstleistungsunternehmen für den Landtransport. Es fehle ein funktionierendes Netzwerk unter allen am Transport beteiligten Unternehmen, das den Fahrer und den Lkw optimal einsetze und den Laderaum effektiv nutze.
Allein auf deutschen Fernstraßen sind an jedem Tag rund 800.000 große Lkw unterwegs. Meistens fahren sie Waren für Industrieunternehmen von einem Land zum anderen oder von einer Stadt zur anderen. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind verheerend: Im Transportsektor droht eine Verdoppelung der Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 2015, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Anzeige about:blank
Dabei ließe sich jetzt schon manches dagegen tun: Unternehmen könnten Aufträge verbinden und Laderaum gemeinsam nutzen. Selbst das Kriterium der Geschwindigkeit muss nicht dagegen sprechen. Denn das schnellste Tempo für den Transport ist längst nicht immer das wichtigste Argument. Bei einer präzisen Planung reicht oftmals der Transportweg mit dem langsameren Güterzug anstatt dem schnelleren Lkw, um Abläufe einhalten zu können.
Nach Berechnungen der Logistikplattform Transporeon erreicht der europäische Markt für Komplettladungen im Straßentransport eine Größe von etwa 200 Milliarden Euro an Umsatz. Das bedeutet: Der wirtschaftliche Schaden dieser Ressourcenvergeudung beträgt mindestens 60 Milliarden Euro. Allein in Deutschland ergaben die Leerfahrten im vergangenen Jahr eine Fahrstrecke von 6,6 Milliarden Kilometern.
Nun hat sich der weltgrößte Markenhersteller Procter & Gamble zum Ziel gesetzt, in Europa bis 2030 die eigenen Emissionen im Transport gegenüber dem Jahr 2020 um die Hälfte zu verringern. Gelingen soll dies, indem der Transport auf mehrere Verkehrsarten verteilt wird. Wann immer möglich soll der Lkw auf den Güterzug umgeladen werden. Zudem sollen alternative Kraftstoffe mit geringeren Emissionen den Dieselantrieb der eingesetzten Lkw ersetzen. Zunächst aber soll sich die Auslastung der Lkw verbessern – durch effizientes Beladen und effektiven Einsatz auf den Straßen.
Konzernspitze sehr wohl bekannt. „Im Durchschnitt sind in Europa 20 Prozent aller Lkw leer unterwegs. Das heißt, sie werden nur zu 80 Prozent in der Beladung genutzt. Das wollen wir ändern“, sagt Pietro D’Arpa, Logistikchef Europa bei Procter & Gamble, im WELT-Gespräch. Zum Beispiel durch eine verbesserte Zusammenarbeit mit Kunden etwa aus dem Einzelhandel sollen diese sogenannten Leer-Kilometer verringert werden.
Dabei helfen soll auch eine neuartige Transportbox, die das Unternehmen zusammen mit Einzelhändlern und anderen Konsumgüterherstellern entwickelt hat. Sie soll den Laderaum effektiver nutzen und bis zu 16 Prozent der eingesetzten Lkw einsparen. Nun soll daraus ein internationaler Standard in der Industrie entstehen.
Die Effizienz des Schienennetzes in Europa müsse verbessert werden
Bei rund einem Viertel der Transportfahrten nutzt Procter & Gamble nach der Aussage die Intermodalität, gemeint ist die Kombination aus Straße, Schiene und Schifffahrt. „Das wollen wir in den nächsten zehn Jahren verdoppeln“, sagt Manager D’Arpa. Der Anteil am Straßentransport solle drastisch verringert und die Menge auf dem Güterzug deutlich erhöht werden.
Allerdings müsse dafür die Effizienz des Schienennetzes, das in Europa viel zu fragmentiert sei, verbessert werden. Das Frachtflugzeug hingegen, das der Konzern in Europa derzeit noch für rund zwei Prozent der Transportmengen einsetzt, an Bedeutung verlieren. „Bei der Nachhaltigkeit ist Luftfracht die schlechteste Transportart“, sagt der Logistikchef D’Arpa.
Derzeit leidet die Logistik an ihrer Zersplitterung. „Bislang arbeitet oftmals noch jeder für sich allein“, sagt D’Arpa. Um das zu ändern, soll die Ladung des Konzerns auf elektronischen Plattformen sichtbarer werden. Durch den Datenaustausch könne die Ladung effektiver verteilt werden. „Nur so können wir die leeren Meilen vermeiden“, sagt der Manager.
Und nennt als ein Beispiel Spanien: Auf Routen zwischen Barcelona und Madrid hat Procter & Gamble den Transportverkehr der Supermarktkette Carrefour mit Lieferfahrten aus den eigenen Werksstandorten vernetzt. Dadurch stieg die Auslastung der Lkw nach den Angaben auf 95 Prozent.
Wieder andere Logistikexperten nennen noch höhere Werte, wenn es um die Vergeudung von Ressourcen geht. „Nach unserer Einschätzung gibt es im europäischen Straßentransport einen Anteil von rund 30 Prozent an Ineffizienzen, seien es Leerfahrten, nicht optimal genutzte Lkw-Ladeflächen oder auch Wartezeiten vor dem Beladen oder Entladen“, sagt Transporeon-Chef Sieber. Der Schweizer verantwortet die nach eigenen Angaben größte IT-Plattform in Europa für Logistikunternehmen.
Im Unterschied zu einer Frachtenbörse verkauft Transporeon keine Transportkapazität. Vielmehr bietet die Plattform Daten an, die als Grundlage für die Auftragsvergabe dienen. Kunden von Transporeon sind etwa Hersteller von Lebensmitteln, Baustoffhändler oder Verpackungsproduzenten. Auch große Logistikkonzerne bis hin zu Fuhrunternehmern mit einem Dutzend Lkw nutzen die digitale Plattform. Insgesamt zählen 130.000 Unternehmen aus der Logistikdienstleistung und der Industrie zur Kundschaft.
Mails und Telefon statt digitaler Werkzeuge
Ein Problem der Branche liegt darin, dass die an einem Transport beteiligen Unternehmen – der Auftraggeber, der Spediteur, der Frachtführer oder auch der Warenempfänger – nahezu ausschließlich die eigenen Systeme nutzen. Die Daten und Arbeitsschritte sind nicht mit anderen Branchenunternehmen oder auch Industriekunden verbunden. Es fehle an gemeinsamen Standards. „Statt mit digitalen Werkzeugen wird in vielen Speditionen noch mit Mails, Telefon oder über WhatsApp mit anderen Unternehmen kommuniziert“, sagt der frühere SAP-Manager Sieber.
Es mangelt an Transparenz. Kaum ein an einem Transportauftrag Beteiligter weiß minutengenau, wann der Lkw wo ist. Dabei sind Informationen darüber, ob gerade in der Nähe ein Lkw Waren entlädt und ob er auf der Rückfahrt noch Laderaum zur Verfügung hat, wichtig für eine bessere Auslastung. Nach dem Motto: Wer etwas abliefert, kann oftmals gleich wieder etwas mitnehmen – nur muss er von dem Auftrag wissen.
Ebenso ließe sich die Wartezeit auf den Betriebshöfen der Warenempfänger verkürzen. „Heute werden der Zeitpunkt zum Abholen von Waren und derjenige zum Abladen beim Empfänger komplett voneinander getrennt vereinbart“, sagt Sieber. Das führe zu Unpünktlichkeit und Wartezeit. Der Fahrer könne den Termin oftmals gar nicht schaffen.
„Wenn alle Seiten über ein Netzwerk miteinander verbunden sind und ein gemeinsames System nutzen, steigt nach unseren Erfahrungen die Pünktlichkeit um 60 bis 70 Prozent“, sagt Sieber. Sein Unternehmen mit Sitz in Ulm hat rund 1000 Beschäftigte und erreichte vergangenes Jahr einen Umsatz von 100 Millionen Euro. Nach eigenen Angaben werden über die IT-Plattform täglich rund 100.000 Transportaufträge abgewickelt. Das entspricht einem Marktanteil in Europa von rund zehn Prozent.