Die Brexit-Folgen werden zunehmend sichtbar. Britische Logistikfirmen finden kaum noch Lkw-Fahrer aus der EU. Das könnte zum Problem für die ganze Wirtschaft der Insel werden.
Es gibt kaum etwas, das sie hier nicht schon mal im Lkw hatten. Die Firma „Youngs“ aus dem Osten Londons bringt Güter wie Lebensmittel oder Werkzeugteile von A nach B. Die Abläufe sind perfekt aufeinander abgestimmt, wie bei einem Orchester. Rob Holliman wäre dann der Dirigent. Und der muss gerade zuschauen, wie ihm die Musiker weglaufen.
„Das hat vor allem mit dem Brexit zu tun“, sagt der Spediteur. „Viele meiner Fahrer sind unsicher, ob sie hier noch willkommen sind. Egal, wie sehr wir sie darin bestärken. Aber wir brauchen sie, sie müssen arbeiten. Viele sind in ihre Heimat zurückgekehrt – und einige kommen gar nicht mehr zurück.“
Abkehr von der Insel
Jahrzehntelang haben britische Logistik-Unternehmen Fahrer aus der EU angezogen. Doch seit dem Brexit haben viele von ihnen keine Lust mehr auf die Insel. „Ich habe Freunde, die nicht mehr in Großbritannien arbeiten wollen“, erzählt Nicu, der aus Rumänien kommt.
Zu wenige Fahrer und zusätzlich immer mehr Bürokratie – die britische Logistik-Industrie bekommt seit Monaten zu spüren, was der Brexit praktisch bedeutet. Rod McKenzie von der Road Haulage Association, dem Verband britischer Speditionsunternehmen, hat die britische Regierung vor genau diesen Konsequenzen gewarnt. „Fahrer aus der EU fühlen sich seit dem Brexit einfach nicht mehr willkommen. Wir waren schon immer ein Inselvolk, aber jetzt sind wir es mehr denn je“, sagt er.
Viele Formulare und aufwändige Grenzkontrollen
„Die Fahrer stören sich an den bürokratischen Hürden bei jeder Lieferung. Das sind unzählige Formulare. Es gibt keine offenen Grenzen mehr zu Europa. Der Job ist schwieriger geworden“, sagt McKenzie. Seit Jahren setzt er sich für die Interessen der Lkw-Branche ein. Gerade fürchtet McKenzie vor allem, dass sich das Fehlen von mehr als 50.000 Fahrern bald schädlich auf die ganze britische Wirtschaft auswirkt, weil Ersatzteile oder Rohstoffe nicht rechtzeitig ankommen.
„Das Problem ist, dass Versorgung und Fahrer-Mangel zusammenhängen“, sagt McKenzie. „Ein Beispiel: Vorige Woche musste ein großes Unternehmen 80 Lkw abstellen, weil sie keine Fahrer gefunden haben. Sie konnten ihre Aufträge und Lieferungen also nicht erfüllen. Die konkrete Folge sind Engpässe irgendwo in der Lieferkette.“
Mangel an Arbeitskräften aus der EU
Bisher bekommen das noch in erster Linie die Speditionsunternehmen zu spüren. Je kleiner sie sind, desto härter werden sie getroffen. Clive Mills fuhr früher Bühnenelemente für große Pop-Bands durch Europa. 16 Lkw und Transporter gehörten ihm, er stellte Fahrer aus der EU an. Heute ist er allein.
Mit einem Freund sichert er ein Fischerboot, das er später nach Wales fahren muss. „Natürlich hat der Brexit mein Geschäft kaputtgemacht. Schaut euch doch mal um – außer mir ist nichts mehr davon übrig“, sagt Mills. „Ich könnte eine Anzeige schalten und mit etwas Glück einen Fahrer finden. Aber ob der sich das antun will? Wahrscheinlich nicht.“
Folgen des Brexit werden jetzt deutlich
Der Mangel an Arbeitskräften aus der EU und neue Regeln nach dem Brexit machen auch Clives Nachbarn im Süden Englands zu schaffen: Landwirten fehlen Erntehelfer, Fischer können nicht mehr in die EU liefern. „Warum hat die Regierung uns nicht schon vor zwei Jahren gesagt: Ihr werdet eure Hummer nicht mehr verkaufen können. Und eure Krabben auch nicht. Ihr müsst einen Haufen von Dokumenten ausfüllen. Künstler haben Probleme auf Tour zu gehen. Vier Jahre haben wir die Regierung gefragt: Was wird das für uns alle bedeuten?“, sagt Mills und macht eine lange Pause. „Von denen kam nichts. Schweigen. Sie hatten selbst keine Ahnung.“
Jetzt bleiben Mills nur noch kleinere Aufträge auf der Insel. Nostalgisch denkt er an die hunderttausenden Kilometer zurück, die er quer durch die EU gerollt ist. LKW fahren ist seine Leidenschaft. Doch seit dem Brexit fehlt jede Perspektive. „Würde ich mein Unternehmen dicht machen?“, sagt er. „Ich bin in einem Alter, in dem ich mir diesen ganzen Ärger eigentlich nicht mehr antun muss. Mills führt seine Firma seit mehr als 20 Jahren. „Ja, ich habe die Firma zu einem Teil geschlossen. Nicht ganz – aber ich spiele mit dem Gedanken.“ Ein Gedanke, der seit dem Brexit viele Unternehmer in Großbritannien beschäftigt.