Bremen und Niedersachsen kritisieren Kehrtwende bei Fahrverboten

Der neue Bußgeld-Katalog der Straßenverkehrsordnung soll wieder außer Kraft gesetzt werden. Mehrere Bundesländer setzen den Vollzug dieser Vorschriften aus und kritisieren Bundesverkehrsminister Scheuer.

Wer in einer Tempo-30-Zone mit mehr als 51 Stundenkilometern geblitzt wird, sollte nach dem neuen Bußgeldkatalog nicht nur 80 Euro und einen Punkt in Flensburg, sondern auch ein einmonatiges Fahrverbot bekommen. Doch mehrere Bundesländer wie Niedersachsen, Hamburg, Bayern und das Saarland setzen den Vollzug dieser Vorschriften aus. Damit gelten dort vorerst die alten Grenzen für ein Fahrverbot. Bremen will noch eine Woche abwarten, bis das Bundesverkehrsministerium eine bundesweit einheitliche Regelung vorlegt.

Grund für den Stopp in den anderen Ländern ist ein Formfehler. In der Ende April novellierten Straßenverkehrsordnung (StVO) fehlt der notwendige Verweis auf die Rechtsgrundlage für die Fahrverbote. „Dies führt dazu, dass die Regelungen zu Fahrverboten nichtig sind“, schrieb Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) per Mail an seine Länderkollegen. Betroffen seien alle Fahrverbote, nicht nur für Raserei, sondern auch für gefährliche Überhol- und Abbiegeverstöße sowie für das unbefugte Nutzen einer Rettungsgasse, heißt es in dem Schreiben, das dem ­WESER-KURIER vorliegt.

Scheuer nutzt Versäumnis aus eigenem Ministerium

Seit Wochen will Ressortchef Scheuer auf Druck von Automobilklubs, Taxifahrern und Straßenverkehrsgewerbe die erst kürzlich verschärften Fahrverbote wieder rückgängig machen. Diese werden beim ersten Verstoß für eine Überschreitung von 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts fällig. Früher lagen diese Grenzen bei Tempo 31 und 41. Nun nutzt der Bundesverkehrsminister ein Versäumnis seines eigenen Hauses, das auch im für die StVO-Novelle zuständigen Bundesrat unentdeckt blieb, um aus der Situation herauszukommen.

„Dies ist ein trauriger Tag für die Verkehrssicherheit der Menschen in Deutschland“, kommentiert Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) den Scheuer-Schwenk. „Die Verschärfung war ein gutes Signal.“ Vor Kindergärten, Schulen und Seniorenheimen sei zum Schutz der Verkehrsteilnehmer Tempo 30 angeordnet worden. „51 km/h sind dort eigentlich immer noch zu viel. Aber die Sanktion, nämlich der Verlust des Führerscheins, ist genau richtig.“ Beim Rückfall auf den alten Stand dagegen kämen Raser mit Tempo 80 noch ohne Fahrverbot davon, betont Mäurer. „Ich kann das nicht nachvollziehen.“

Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) kritisiert im Gespräch mit dem WESER-KURIER den Bundesverkehrsminister. „Besondere Chuzpe braucht es, die Schlamperei in der Umsetzung der Verordnung zu nutzen, um eine unliebsame Regelung auszuhebeln.“ Die sei ein „weiteres unseliges Kapitel im Wirken des Bundesverkehrsministers, der sich für keine Verrenkung zu schade ist“. In der Sache ist sich der Ressortchef mit seinem Bremer Kollegen völlig einig: „Raserei ist Todesursache Nummer eins auf unseren Straßen. Wir sollten uns dem Wohle unserer Bevölkerung verpflichten und nicht dem einiger lauter Lobbyisten.“

Dennoch geht Niedersachsen gemeinsam mit anderen Bundesländern den juristisch sichereren Weg. Das Innenressort in Hannover hat die Bußgeldstellen der Kommunen angewiesen, vorerst keine Fahrverbote nach den neuen Sätzen zu verhängen. Bereits ergangene Bußgeldbescheide blieben wirksam, erklärt eine Ministeriumssprecherin. „Soweit die Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, können jedoch Rechtsmittel eingelegt werden.“

„Es entsteht keine Regelungslücke“

Einen Freibrief für Raser bedeutet die Außervollzugsetzung nicht. Die höheren Bußgelder sind davon nicht betroffen. Bei den Fahrverboten greifen die Länder auf die bis zum 27. April gültige Version zurück. „Es entsteht keine Regelungslücke“, erklärt das Innenministerium in Hannover. „Wir werden ab sofort für laufende Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren die alte Rechtslage anwenden“, kündigt auch Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) an. Thüringen will die verschärften Fahrverbote weiter anwenden. „Es gibt keinen Grund, diese Regelungen nun zugunsten von Rasern zurückzunehmen“, meint Infrastrukturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke).

„Der Bußgeldkatalog hat eine Unwucht bekommen, die es zu korrigieren gilt“, erklärt dagegen der Bundesminister. Seit Wochen rührt Scheuer mit Unterstützung des ADAC und des Deutschen Anwaltvereins die Werbetrommel für seine Position. „Mit Blick auf die härteren Fahrverbote scheint die StVO-Novelle tatsächlich über das Ziel hinauszuschießen“, springt Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) dem CSU-Mann bei. Die Kritiker der neuen Regeln verweisen darauf, dass die harten Fahrverbote nicht nur Raser träfen, sondern auch umsichtige Verkehrsteilnehmer, wenn diese einmal aus Unachtsamkeit ein Tempolimit übersähen. Berufskraftfahrer würden dadurch schon bei einem einzigen Fehler in ihrer Existenz bedroht.

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