Das „Flensburger Punktesystem“ ist streng und stellt mit der grundsätzlichen Entziehung der Fahrerlaubnis beim Erreichen von acht Punkten gerade für berufliche Vielfahrer eine existenzielle Bedrohung dar. Diese Situation hat Ende April 2020 noch weiter an Brisanz gewonnen, nachdem im reformierten Bußgeldkatalog für einige Verkehrsverstöße nun Punkte drohen, bei denen zuvor ein reines Verwarnungsgeld verhängt worden ist. Wer aber früh genug mit noch laufenden Bußgeldverfahren kompetent anwaltlich vertreten wird, hat gute Chancen, seinen Führerschein zu retten – selbst wenn die Tatvorwürfe gerechtfertigt sein sollten!
I. Das Punkte-Register in Flensburg – noch mehr Einträge ab Ende April 2020
Im sogenannten Fahreignungsregister (FAER), welches beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg geführt wird, erfasst alle rechtskräftig entschiedenen Verkehrsverstöße, die in Anlage 13 zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) als punkterelevant eingestuft wurden.
Die Einschätzung dazu, was neben einer Geldbuße auch mit mindestens einem Punkt belegt werden soll, ändert sich von Zeit zu Zeit. Letztmalig erfolgte dies, als kurz vor Beginn des Monats Mai im Jahr 2020 die Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) verschärft wurde. Seither sind zahlreiche Verkehrsverstöße neu in den Kanon der Punkte-Verstöße aufgenommen worden. Hierüber wurde ausführlich medial berichtet, weshalb aus Platzgründen auf die Verstöße im Einzelnen an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll.
Festzuhalten ist somit: Seit Ende April 2020 füllt sich das Fahreignungsregister gerade für unsere Stamm-Mandantschaft aus den Bereichen der Berufskraftfahrer (Lkw-, Bus- und Taxi-Fahrer) sowie der sonstigen beruflichen Vielfahrer (Handelsvertreter, Außendienstmitarbeiter etc.) schneller als früher mit Punkten.
Seit dem 01.05.2014 werden einfache Verstöße mit Relevanz für die Verkehrssicherheit mit einem Punkt geahndet, der im Fahreignungsregister 2,5 Jahre stehen bleibt, bevor er tilgungsreif ist. Gravierendere Verstöße (z. B. Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts mit 31 km/h bzw. außerorts mit 41 km/h; Rotlichtverstöße mit Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde etc.) werden gar mit zwei Punkten belegt, die eine Tilgungsdauer von 5 Jahren (!) mit sich bringen.
Für Vielfahrer ist damit auch das Risiko einer gefährlichen Punkteanhäufung deutlich gestiegen.
II. Grundzüge des Fahreignungs-Bewertungssystems
In § 4 Abs.5 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) wird geregelt, welche Konsequenzen es für den Inhaber einer Fahrerlaubnis hat, wenn er nach Verkehrsverstößen im Fahreignungsregister Punkte eingetragen bekommen hat. Kurz zusammengefasst sind dies folgende Maßnahmen:
- bei 4-5 Punkten:
- kostenpflichtige schriftliche Ermahnung
- Hinweis auf freiwilliges Fahreignungsseminar
- bei 6-7 Punkten:
- kostenpflichtige schriftliche Verwarnung
- Hinweis auf Entziehung der Fahrerlaubnis beim Erreichen von 8 Punkten
- ab 8 Punkten:
- Entziehung der Fahrerlaubnis
- Möglichkeit zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis frühestens 6 Monate nach der Entziehung und in der Regel erst nach einem Fahreignungsgutachten (MPU)
Zu beachten ist dabei, dass die besagte gesetzliche Regelung der Fahrerlaubnisbehörde kein Ermessen einräumt, sondern die vorstehenden Maßnahmen verpflichtend vorsieht. Wenn also die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, muss (!) die Fahrerlaubnisbehörde die besagten Konsequenzen gegen einen Mehrfachtäter grundsätzlich in die Wege leiten.
Auf eben dieser Grundlage beruht es, dass meist in Beiträgen im Internet nur geschrieben steht, dass beim Erreichen von acht Punkten die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Aus den nachfolgend genannten Gründen ist dies aber in dieser Absolutheit nicht zutreffend – vielmehr gibt es unter bestimmten Umständen Möglichkeiten, die Mobilität zu sichern.
III. Rettung der Fahrerlaubnis mittels anwaltlicher Taktik der Synchronisierung parallel laufender Verfahren
Verkannt wird in der Regel bereits, dass die Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zwingend (!) der Reihe nach getroffen werden müssen (§ 4 Abs.6 S.1 StVG) und nicht etwa zwei Maßnahmen gleichzeitig getroffen werden dürfen, wenn jemand durch eine Anhäufung von Fällen z. B. auf einmal über die 4- und die 6-Punkte-Schwelle „springt“ (§ 4 Abs.6 S.2 StVG).
Eben diese Regelung ermöglicht es dem erfahrenen anwaltlichen Verteidiger sehr häufig, seine Mandanten vor der Maßnahme der zweiten Stufe (6-Punkte-Verwarnung) oder gar der dritten Stufe (8-Punkte-Entziehung) zu schützen. Oftmals gelingt es dabei dann auch noch, eine Reduzierung der an sich höher liegenden Punkte-Summe auf 5 bzw. 7 Punkte zu bewirken (§ 4 Abs.6 S.3 StVG).
Dafür gibt es aber eine Grund-Voraussetzung:
Die beschriebene Möglichkeit besteht nur dann, wenn der Anwalt hinreichend früh beauftragt wird und alle zu diesem Zeitpunkt laufenden Verfahren aus dem Bußgeld- und/oder Verkehrsstrafrecht gebündelt überwachen und in zeitlicher Hinsicht synchronisieren kann. Auf keinen Fall darf ein drohender Punkteeintrag einfach hingenommen werden, wenn jemand schon bei vier oder fünf Punkten angelangt ist und nun zwei oder noch mehr neue Verstöße vorgeworfen bekommt.
Wer nach Erhalt einer 4-Punkte-Verwarnung weitere Anhörungsbögen zugeleitet bekommt, die anschließenden Bußgeldbescheide Stück für Stück akzeptiert und zahlt, bekommt der Reihe nach Punkte eingetragen. Es passiert dann häufig, dass wiederum sukzessive die Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem getroffen werden. Beim Erreichen der Summe von acht Punkten ist dann bei derart falscher Vorgehensweise auch für den gewieften Anwalt in der Regel nichts mehr zu retten.
Selbst dann, wenn jemand sich absolut sicher ist, dass ein punkterelevanter Tatvorwurf gerechtfertigt ist (z. B. bei einem eindeutigen Handy-Verstoß), ist es also mit Blick auf das Fahreignungs-Bewertungssystem zur Verhinderung der Entziehung der Fahrerlaubnis erforderlich, auch diesen Fall zusammen mit weiteren Verfahren offen zu halten.
Die Kosten für die anwaltliche Verteidigung in (auch mehreren parallel geführten) Bußgeldverfahren tragen in der Regel die Rechtschutzversicherer.
Klargestellt werden muss noch Folgendes:
Auch wenn ein Anwalt mehrere Verfahren von betroffenen Mandanten mit Punkte-Voreintragungen in Flensburg parallel führt, kommt es nicht einfach im Sinne eines Automatismus dazu, dass die Fahrerlaubnis-Entziehung beim Erreichen von rechnerischen acht Punkten verhindert und die Summe auf sieben Punkte reduziert wird. Vielmehr ist insofern wegen strenger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aktives Vorgehen des anwaltlichen Verteidigers auch gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde erforderlich. Dies auszuführen, würde hier zu weit gehen.
Erschreckend ist für mich, dass ich regelmäßig Anfragen von Anwaltskollegen in diesem Zusammenhang bekomme, die erkennen lassen, dass die erforderlichen verfahrenstaktischen Kenntnisse und Erfahrungen bedauerlicherweise vielfach nicht vorhanden sind.
IV. Zusammenfassung: Verhinderung der Fahrerlaubnis-Entziehung nur bei paralleler Führung offener Verfahren durch spezialisierten Anwalt möglich
Wer nach bereits rechtskräftig in Bußgeld- oder Verkehrsstrafverfahren entschiedenen Verkehrsverstößen in Flensburg vier oder fünf Punkte eingetragen bekommen hat und aktuell mit zwei oder gar mehr neuen Tatvorwürfen im Straßenverkehr konfrontiert wird, sollte unbedingt jedes (!) dieser neuen Verfahren an einen kompetent erscheinenden Fachanwalt für Verkehrsrecht herantragen, der in der Verteidigung in parallelen Verfahren die nötigen Erfahrungen besitzt. Diesem ist es bei zielführender Vorgehensweise in sehr vielen Fällen selbst dann möglich, zumindest die Entziehung der Fahrerlaubnis zu verhindern und eine Reduzierung auf maximal sieben Punkte zu bewirken, wenn in den Verfahren selbst nichts gewonnen werden kann und die Tatvorwürfe sich als gerechtfertigt herausstellen sollten.
Natürlich wird gleichwohl in jedem dieser Einzelfälle versucht, eine Belastung des Verkehrsteilnehmers mit Punkten, Geldbußen und unter Umständen auch Fahrverboten zu verhindern. Die Verteidigung erfolgt somit einerseits isoliert auf den einzelnen Fall bezogen, andererseits aber auch zugleich gesamtheitlich mit Blick auf alle laufenden Fälle.
Wer sich umgekehrt gegen derartige neue Tatvorwürfe entweder nicht oder nur vereinzelt zur Wehr setzt, riskiert den Verlust seiner Mobilität, eine anschließende halbjährige Sperre und ein teures und zeitaufwändiges MPU-Gutachten, obwohl all dies oftmals zu verhindern gewesen wäre.
Dr. Sven Hufnagel
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Dr. jur. Sven Hufnagel ist auf die Verteidigung in Bußgeldsachen und dabei insbesondere auf den Erhalt der Mobilität spezialisiert. Mit annähernd 17-jähriger Erfahrung aus mehreren tausend und dabei häufig parallel geführten Bußgeldverfahren kam es nach der oben beschriebenen Weise schon unzählige Male zur Abwehr von Fahrerlaubnis-Entziehungen und MPU-Anordnungen sowie Punkte-Schonungen.
In der großen „FOCUS-Anwaltsliste“ wurde er in den Jahren 2015 bis 2019 fünf Jahre hintereinander als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ aufgeführt und im „STERN“ wurde seiner Kanzlei die Auszeichnung als eine der „Besten Anwaltskanzleien 2020 im Rechtsgebiet Verkehrsrecht“ verliehen.