IT-Firmen wie Shippeo, Evertracker oder Synfioo verzeichnen eine Corona-Hochkonjunktur. Der Grund: Ihre Technologien sagen voraus, wann Warenlieferungen eintreffen.
Düsseldorf Lkw-Staus von 60 Kilometern an der Grenze zu Polen, Verstopfungen in den Seehäfen von Schanghai und Shenzhen, fehlende Brummifahrer für die Fahrt über die Alpen nach Italien – Händlern und Endproduzenten, die dringend auf benötigte Artikel warten, macht die Coronakrise in diesen Tagen einen Strich durch die Terminplanung.
Die voraussichtliche Ankunftszeit, von Spediteuren international als „Estimated Time of Arrival“ mit dem Branchenkürzel ETA bezeichnet, wird in solchen Zeiten als Information zum wertvollen Gut.
Wie wertvoll, das erlebt seit dem Ausbruch der Epidemie das Pariser Start-up Shippeo, eine Logistik-IT-Firma, die hierzulande in Düsseldorf ihre größte Filiale betreibt. „Während in zahlreichen Branchen Kurzarbeit einkehrt“, berichtet Deutschland-Geschäftsführer Thomas Spieker, „gibt es bei uns seit einigen Wochen Sonderschichten.“
Gegründet von den beiden Vorständen Pierre Khoury und Lucien Besse, hat sich Shippeo seit 2014 zum europäischen Marktführer im Bereich der Lieferkettentransparenz entwickelt. Wer sich im System der Franzosen anmeldet, dem versprechen sie auf der letzten Teilstrecke eine fast punktgenaue Antwort auf zwei Fragen: Wo ist meine Ware? Und wann kommt sie an?
„Transparenz war für das Funktionieren der Lieferkette immer schon extrem wichtig“, sagt Logistikprofessor Christian Kille von der Hochschule Würzburg. „Durch die Corona-bedingten Verkehrsbehinderungen ist die Nachfrage nach Lieferinformationen jedoch noch einmal akut gewachsen.“
So wollen Supermärkte wissen, wann sie als nächstes wieder leere Regale mit Hygieneartikeln auffüllen können. Auch Hersteller etwa von Automobilen sind nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen auf Zeitangaben angewiesen. Wird ihnen eine Lieferung dringend benötigten Teile präzise vorhergesagt, können sie pünktlich die eigene Produktion wieder hochfahren.
Doch die Zahl der IT-Unternehmen, die sich mit dem Einsatz von GPS, Datenbanken und Künstlicher Intelligenz um eine exakte Vorausbestimmung mühen, blieb bislang übersichtlich. Neben Shippeo versucht sich Synfioo, vor fünf Jahren gegründet am Hasso-Plattner-Institut (HPI) der Universität Potsdam, an dieser Aufgabe.
Zudem schmiedeten Marc Schmitt und Peter Lindqvist 2014 in Schwerin das Start-up Evertracker. Die vom Risikokapitalgeber Genius Venture Capital unterstützte IT-Firma errechnet für Kunden wie Airbus, Audi, Lufthansa Technik oder Ericsson die erwarteten Ankunftszeiten ihrer Lieferungen.
Dass es insbesondere langfristigen Vorhersagen noch an Verlässlichkeit mangelt, ist in der Branche kein Geheimnis. „Die Aufgabe, für den kompletten Lieferweg eine Zeitangabe zu ermitteln, ist hochkomplex“, sagt Evertracker-Gründer Schmitt. „Die Verwerfungen durch die Corona-Epidemie haben dies nicht leichter gemacht.“
Wettbewerber Shippeo setzt deshalb den Liefertermin, den er erstmals beim Verladen der Ware verkündet, stets unter Vorbehalt. „Zunächst liegt die Genauigkeit oft nur bei 40 Prozent“, sagt Shippeo-Manager Spieker. „Denn beim Umladen im Hafen kommt es nicht selten zu unvorhergesehenen Verspätungen.“
Während des Transportverlaufs aber verfeinert sich die Prognose. Auf der letzten Teilstrecke, also meist bei der Lkw-Belieferung bis zur Rampe, verspricht Shippeo eine Zeitgenauigkeit von 98 Prozent.
Umsätze bleiben ein Geheimnis
Das alles stellen die Franzosen durch ein ausgeklügeltes System sicher. „Wir haben Zugriff auf 550 der 600 im Markt befindlichen Telematikanbieter“, sagt Deutschlandchef Spieker. Hinzu kommen Lagerdaten und selbstlernende Algorithmen, die aus historischen Verkehrsinformationen die Lkw-Geschwindigkeit errechnen. Auch übliche Pausenzeiten der Fahrer oder Verladezeiten an der Rampe berücksichtigt das System.
„Die Herausforderung war, all diese Daten einheitlich aufzubereiten“, berichtet Spieker von anfänglichen Schwierigkeiten. Um den Job zu erledigen, sammelte Shippeo in zwei Finanzierungsrunden insgesamt 32 Millionen Euro bei Investoren wie SAP, Partech, NGP Capital, ETF Partners und Bpifrance.
Über Umsätze redet man noch nicht, doch das Kundenportfolio ist beachtlich. 50 Großunternehmen habe man bereits akquiriert, mehr als fünf Millionen Sendungen würden jährlich verfolgt.
So will der Fruchtsafthersteller Eckes-Granini in nächster Zeit seine jährlich rund 35.000 Lieferungen zu 650 Kundenstandorten zeitlich überwachen lassen. Auch Kaufland, Obi, Heineken, Total oder der Autozulieferer Faurecia gehören nach Angaben des Start-ups zu den Kunden.
„Die Einbindung unserer IT etwa in das SAP– oder Oracle-System des Kunden dauert im günstigsten Fall anderthalb Tage“, berichtet Spieker. Gehe es in den Unternehmen zusätzlich um Gefahrgut- oder Schwertransporte, wo etwa bestimmte Brücken zu umgehen sind, könne es bis zu zwei Wochen dauern.
Mit dem Geld aus der jüngsten Finanzierungsrunde im Februar 2020 will Shippeo nun seine Kundenzahl bis 2022 auf 250 verfünffachen – auch durch eine verstärkte Expansion in den Auslandsmärkten Benelux, Skandinavien, Spanien und Italien. Für die Dienstleistung bezahlen lässt man sich dabei von den Absendern der Fracht. „Die Margen der Transportunternehmen“, weiß Spieker, „wären dazu wohl meist zu gering.“
Billiger geht es zumindest derzeit in jedem Fall aber beim Wettbewerber Synfioo. Das Potsdamer IT-Unternehmen gab Anfang April bekannt, seinen „On-Time-Navigator“ in den kommenden drei Monaten kostenlos anzubieten. Als Hilfsmaßnahme gegen die Auswirkungen der Coronakrise.
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