Der Mann im Empfangsbereich ist gereizt. „Alle wieder in den Bus; es war nicht vorgesehen, dass Sie aussteigen“, sagt er mit lauter Stimme. Gerade sind die rund 70 Teilnehmer einer Delegationsreise aus Hamburg bei Israel Aerospace Industries (IAI) angekommen. Weil der Sicherheitschef es so will, müssen sie wieder einsteigen, dann werden sie zu einem separaten Gebäude gefahren. Der Firmenkomplex liegt in Ashdod, etwa 40 km südlich von Tel Aviv, und ist das größte Verteidigungsunternehmen in Israel.
Die Reisegruppe unter Leitung des Hamburger Wirtschaftssenators Michael Westhagemann will die Start-up-Szene in dem Land erkunden. Ziel ist, die Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Unternehmen zu fördern. IAI ist die erste Station. Der Konzern arbeitet im Rahmen eines Konsortiums mit zahlreichen Start-ups zusammen, um Lösungen für Cybersecurity zu entwickeln – ein Geschäftsfeld, mit dem sich das Tochterunternehmen Elta Systems befasst.
Verteidigung ist ein großes nationales Thema in Israel – sowohl gegen physische Bedrohungen als auch gegen Cyberattacken. Bei IAI gelten strenge Sicherheitsvorschriften. Fotografieren ist ebenso verboten wie jegliche Nutzung von Geräten mit Speichermedien. Denn das Unternehmen stellt auch vielfältige militärische Abwehrsysteme und Drohnen her. Die Furcht vor Spionage und Datenlecks ist zugleich der Antrieb, die Sicherheitssysteme auf dem technisch höchstmöglichen Sicherheitslevel zu halten. Elta Systems sucht gezielt nach Start-ups, die dabei helfen können.
Viel Wagniskapital vorhanden
In Israel ist der Gründergeist stark ausgeprägt, was die Zahl von über 7.000 Jungunternehmen in dem Land am Mittelmeer belegt. Einrichtungen wie Start-up Nation Central im Zentrum von Tel Aviv fördern das Unternehmertum, indem sie ein Ökosystem für neue Business-Modelle schaffen. Die Gründerorganisation bringt technische Lösungen, Investoren und Start-ups zusammen.
Israel gilt als hoch innovativ. Viele Ideen haben ihren Ursprung im Militär und finden dann einen Weg in die zivile Nutzung. Das Land ist beliebtes Ziel internationaler Investoren, wie Yariv Lotan vom Start-up Nation Central anhand eindrücklicher Zahlen zeigt: 8 Prozent des weltweiten Wagniskapitals fließen nach Israel. Deutschland verbucht dagegen magere 0,5 Prozent.
Ein Grund dafür dürfte die Mentalität israelischer Jungunternehmer sein. Sie entwickeln ihre Ideen lösungsorientiert und sind mutig. Angst vor dem Scheitern, wie sie den Deutschen oft nachgesagt wird, gibt es kaum. „Hinzu kommt, dass die Menschen hier global denken“, sagt Kerstin Wendt-Heinrich, CEO von Top Mehrwert Logistik in Hamburg. „Die Start-ups richten sich von Anfang an international aus.“ Und die Gründer seien weniger zögerlich. „Man realisiert auch mal die zweitbeste Lösung und wartet nicht, bis alles perfekt ist“, stellt Wendt-Heinrich fest.
Die Einschätzung der Hamburger Unternehmerin wird von den anderen Teilnehmern der Delegationsgruppe weitgehend geteilt. Etwa von Matthias Vallentin, der das Datenanalyseunternehmen Tenzir gegründet und zehn Jahre in Kalifornien gelebt hat: „Die Mentalität in Israel ist ähnlich wie im Silicon Valley.“ Finanzierungen seien unkomplizierter, Start-ups könnten freier und mit weniger finanziellem Druck arbeiten. „Das ist gerade in der Anfangsphase einer Gründung sehr wichtig“, betont Vallentin. In diesem Punkt gebe es in Deutschland noch erheblichen Verbesserungsbedarf.
Ein stärkerer Austausch zwischen beiden Seiten ist daher erstrebenswert. Deswegen freut sich Wirtschaftssenator Westhagemann schon darauf, demnächst das eine oder andere Start-up aus Israel in Hamburg begrüßen zu können.
Wie vielleicht die Firma Ottopia, die sich mit Automatisierung im Hafenbetrieb beschäftigt. Das Start-up arbeitet an einer Lösung, mit der LKW fahrerlos auf dem Hafengelände verkehren können, indem sie von einem Kontrollraum aus ferngesteuert werden. Teleoperation nennt sich das. Mit dem Hafen Rotterdam wird ein Anwendungsfall für Containertransporte erprobt, wie CEO Amit Rosenzweig der Delegation bei einer Kurzpräsentation im Start-up Nation Central berichtet. Seine Firma hat hochleistungsfähige Videotechnik entwickelt, damit die Fernsteuerung verzögerungsfrei funktioniert.
Innovationen für maritime Logistik
Etwa 80 km Busfahrt weiter im Norden von Tel Aviv befindet sich das Innovationszentrum The Dock. Der Empfang der deutschen Besucher ist wesentlich entspannter als am Tag zuvor, was nicht verwunderlich ist, denn hier handelt es sich nicht um einen Hochsicherheitsbereich. Die Institution in Haifa ist ein Beschleuniger für maritime Hightech-Lösungen. „Wir verbinden Start-ups mit der Welt“, sagt Hannan Carmeli, einer der Gründer von The Dock.
Haupttreiber für technische Lösungen seien gesetzliche Regularien zur Emissionssenkung, Sicherheitsanforderungen und hoher Wettbewerbsdruck durch den Einsatz neuer Technik. The Dock hat namhafte Partner, unter anderem Maersk, DSV, Thyssenkrupp, Lloyds Register und Wärtsilä.
Entsprechend selbstbewusst sind die Jungunternehmer, die mit dem Innovationszentrum zusammenarbeiten. Einer von ihnen ist Gadi Ruschin. Der Mitgründer des Start-ups Wave BL will den Papierverkehr abschaffen und den kompletten Dokumententausch auf der Blockchain abbilden. Die Lösung von Wave BL sei so einfach zu bedienen wie ein E-Mail-Programm. Ebenso erfordere der Anschluss an bestehende Systeme keine IT-Kompetenz oder anderweitige Resourcen. „Die Anwendung senkt den Zeit- und Kostenaufwand vom ersten Augenblick an“, verspricht Ruschin. Er ist überzeugt, dass Wave BL zum Standard wird.
Den Besuchern aus Deutschland präsentieren die jungen Entrepreneurs in Haifa praxisrelevante Ideen. So will Dock Tech die Wasserstände in Häfen durch Sensoren an Schiffen messen und in einer weltweiten Echtzeitkarte abbilden. Ein anderes Start-up namens Regulus Cyber entwickelt Verfahren zum Schutz von Satellitentechnik wie GPS vor unbefugter Übernahme. Die als Spoofing bezeichnete kriminelle Methode, bei der Hacker die Sensoren der Systeme unter ihre Kontrolle bringen, wird seit einiger Zeit zu einem immer größeren Problem, wie der Regulus-Gründer Roi Mit berichtet. Für die Empfangsgeräte von Satellitensignalen hat Regulus Cyber eine Schutztechnik entwickelt. Roi Mit hofft, das künftige Regularien dem Unternehmen zum Erfolg verhelfen. Ab 2021 gelten Vorschriften der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (Imo), nach denen kein Schiff einen Hafen verlassen darf, sofern es nicht gegen Spoofing gesichert ist.
Auch bei The Dock sind die Teilnehmer der Delegation beeindruckt. „Mit welcher Zielstrebigkeit die jungen Unternehmen Lösungen entwickeln, ist vorbildlich“, resümiert Jan Bovermann, verantwortlich für die Entwicklung digitaler Lösungen bei der Hamburger Hafen und Logistik AG. Sehr zielführend findet er die Kombination aus strategischen Investoren und Kapitalinvestoren, mit denen das Innovationszentrum zusammenarbeitet. „Dadurch ist das Dock finanziell unabhängig. Das ist nicht überall in Deutschland so“, sagt Bovermann.
Da kann es nur förderlich sein, dass die Gastgeber im Dock die Kontakte nach Hamburg verstärken und Möglichkeiten der Co-Finanzierung ausloten wollen. Schlüsselrollen spielen dabei das Digital Hub Logistics und Next Logistics Accelerator, auf der Reise vertreten durch Johannes Berg beziehungsweise Miriam Kröger. Und wenn es nach Wirtschaftssenator Westhagemann geht, wird es weitere Delegationsreisen nach Israel geben.
Nach dem etwas rüden Beginn bei IAI ist die Aussicht auf künftige Start-up-Projekte und Kooperationen am Ende dann doch recht freundlich.
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