Sind Lkw an Oberleitungen das nächste große Ding bei der Elektrifizierung des Güterverkehrs oder ein teurer Irrweg? Wir wollten im Rahmen der These des Monats wissen, was Sie davon halten. Jetzt liegt die spannende Auswertung vor!
Am 7. Mai wurden auf einem fünf Kilometer langen Teilstück der A5 zwischen Frankfurt und Darmstadt in beiden Fahrtrichtungen zu Versuchszwecken die ersten Oberleitungsfahrspuren Deutschlands für Lastkraftwagen in Betrieb genommen.
Spezielle Hybrid-Lkw mit Stromabnehmern können dort – auf einem der meistbefahrenen Autobahnabschnitte Deutschlands, den täglich durchschnittlich 14.000 Lkw passieren – während der Fahrt ihre Batterien aufladen. Zwei weitere Versuchsreihen für dieses von Siemens entwickelte System eines „eHighways“ sollen Ende dieses Jahres auf Teststrecken im baden-württembergischen Murgtal und zwischen der Anschlussstelle Reinfeld und dem Autobahnkreuz Lübeck in Schleswig-Holstein gestartet werden. Die Kosten für den Aufbau der drei Teststrecken übernimmt das Bundesumweltministerium. Sie betragen insgesamt knapp 50 Millionen Euro.
Ob dieses Geld sinnvoll eingesetzt ist und ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept zu verwirklichen hilft, daran scheiden sich jedoch die Geister. Drängt man damit nicht den viel umweltfreundlicheren Güterverkehr auf der Schiene noch weiter ins Abseits? Sind angesichts der immensen Kosten für den flächendeckenden Aufbau von Oberleitungsmasten entlang der deutschen Autobahnen nicht batterieelektrisch betriebene Lkw oder solche mit Brennstoffzellen die bessere Wahl, wenn es gilt, die Schadstoffemissionen des Schwerlastverkehrs zu senken? Oder ist es doch ein notwendiger Baustein für eine nachhaltige Mobilität, Lkw an Oberleitungen fahren zu lassen? Das stellten wir mit unserer These des Monats Juni zur Diskussion.
„Lkw an Oberleitungen fahren zu lassen, ist ein notwendiger Bestandteil nachhaltiger Mobilität.“
Daran beteiligten sich insgesamt 397 Leserinnen und Leser von electrive.net – mit einem klaren Ergebnis. Nur eine Minderheit der Teilnehmer stimmte der These vorbehaltlos (88) oder mit Vorbehalten (31) zu. Eindeutig oder mit Einschränkungen ablehnend stand dagegen eine Mehrheit von 224 plus 43 Teilnehmern der These gegenüber. Hinzu kamen elf neutrale Bewertungen.
Zeichnet man die Diskussion der These inhaltlich nach, so finden sich darin die folgenden Aussagen. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider.
Pro: Ein schneller Weg zum Klimaziel
Die Uhr von Paris tickt. Der Klimawandel wartet nicht darauf, bis wir ein Wundermittel entdeckt haben, um ihn aufzuhalten. Pragmatische Lösungen sind gefragt. Dazu gehört das Konzept des „eHighway“, das bereits heute funktionieren kann. So äußerte sich sinngemäß der Chef von Scania, dem profitabelsten Nutzfahrzeughersteller der Welt, in einem auf Englisch geführten Interview, aus dem ein Diskussionsteilnehmer zitiert. Diese Position findet sich in einigen anderen Pro- und Eher-Pro-Kommentaren wieder, wenn es etwa heißt: „Wir brauchen schnell klimafreundliche Lösungen für Transporte. Eine Verlagerung auf die Schiene ist eine gute Maßnahme. Bei dem weiter zunehmenden Güterverkehr wird das allerdings trotzdem nicht ausreichen. Der eHighway ist daher eine gute, effiziente und bereits zur Verfügung stehende Lösung.“ Die Vorzüge des Schienenverkehrs werden dabei also nicht in Abrede gestellt, dessen derzeitige Kapazität für den Gütertransport jedoch realistisch eingeschätzt. „Wenn durch Vermeidung und Verlagerung die Klimaziele im Güterverkehr nicht erreicht werden können, dann muss verbessert werden. Der Oberleitungs-Lkw ermöglicht es zeitnah, signifikante Beiträge zur Reduzierung von Treibhausgasen zu erzielen.“
Pro: Spart Geld, Zeit und andere Ressourcen
Mögen die drei Teststrecken auch viel Geld kosten, so ist der Aufbau von Oberleitungen auf Autobahnen nach Auffassung von Befürwortern der These doch relativ günstig gegenüber den möglichen Alternativen. „Den Güterverkehr auf die Schiene zu bringen ist wahrscheinlich um ein Vielfaches teurer als die elektrifizierte Autobahn.“ Ähnliches gelte „im Vergleich zu gigantischen Abstellflächen für die zweifelsfrei notwendigen Lkw-Ladestationen“ und in Relation zum Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur.
Zeit ist Geld, und auch deren Verbrauch lasse sich mit Oberleitungen an der Autobahn signifikant senken, spare es doch „sehr viel Zeit, wenn die Fahrzeuge während der Fahrt nachgeladen werden“. Besonders auf viel befahrenen Strecken sei das hilfreich. „Besser unterwegs alle 30 km für die nächsten 30 km laden als am Charger warten, denn das will der Speditionschef kaum zahlen.“ Damit diese Nachladefunktion flächendeckend erfüllt werden könne, brauche man nur „sinnvolle Streckenabschnitte“ zu elektrifizieren und nicht das komplette Autobahnnetz. Dass Ladestopps entfallen können, so wird vorausgesagt, werde noch relevanter werden, wenn autonome Trucks unterwegs sind.
Lkw, die regelmäßig neue Energie an Oberleitungen nachfassen, „könnten grundsätzlich mit einer geringeren Akkugröße (30-50%) auskommen, das spart sogar insgesamt Ressourcen. Denn langfristig bedeuten Oberleitungen weniger Materialaufwand als viele einzelne große Batterien“. Auf diese Art ließe sich die Abhängigkeit von knappen Ressourcen wie z.B. Lithium vermindern. Ein geringeres Batteriegewicht käme wiederum der Transporteffizienz zugute, weil es „die eigentliche Nutzlast“ erhöhte. Auch würden dank der an einer Oberleitung in gekoppelter Kolonne fahrenden Lkw künftig keine „Elefanten-Rennen“ mehr stattfinden, hofft ein Diskussionsteilnehmer.
Mit Oberleitungen kann man nicht nur „relativ einfach die Reichweite von BEV erhöhen“, sondern Antriebsenergie – im Straßenverkehr – am weitaus effizientesten nutzen. Denn „H2-Lkw verbrauchen 2 bis-3-mal so viel Primärenergie (grünen Strom) wie Batterie-Lkw“ und ein Elektromotor wiederum „spart jede Menge Kraftstoff, durch den fast doppelt so hohen Wirkungsgrad verglichen mit dem Diesel“. Außerdem seien „Oberleitungen und Pantographen eine in der Industrie bekannte und zuverlässige Lösung, welche zahlreiche Möglichkeiten der Integration von Fahrzeugen ermöglicht. Ebenfalls ist über diesen Weg die Rückspeisung von Bremsenergie ins Netz möglich, was besser Wirkungsgrade hat als in einer Batterie zwischen zu speichern“. Ein anderer Diskutant hält „eHighways“ folglich für die „effizienteste Form, den Güterverkehr komplett zu dekarbonisieren – mit 200 bis 300 km Batterie-Reichweite lassen sich in Mitteleuropa von den Schnellstraßen fast alle Orte erreichen“.
Contra: Kein vertretbares Geschäftsmodell
Diametral entgegengesetzt zu den Effizienzargumenten der Befürworter sind zahlreiche Aussagen der Gegner von Oberleitungs-Autobahnen. Sie halten deren Aufbau für viel zu teuer. „Die Investitionen sind mit rd. 2 Mio. €/km bei 13.000 km Autobahn überproportional hoch“, heißt es beispielsweise, zumal „diese Oberleitungen höchstwahrscheinlich hinfällig“ würden, wenn sich langfristig andere E-Antriebsarten durchsetzten. Hinzu kämen die Kosten für die Ausstattung der Fahrzeuge mit Stromabnehmern. „Der Streckenausbau ist viel zu kostspielig im Vergleich zu stationären Schnelladestationen“, heißt es an anderer Stelle. Ladestopps seien sinnvoll. „Für LKW bietet es sich an, an Schnelladern auf den Rastplätzen zu laden. Die Fahrer müssen ja sowieso die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen einhalten.“
Trotz ihrer geringeren Größe seien auch die Akkus von Hybrid-Lkw noch tonnenschwer, was zu Lasten der Zuladung gehe und wenig ressourcenschonend sei. Deshalb solle man besser in eine Wasserstoffinfrastruktur investieren. Denn diese könne „mit wenigen Betriebstankstellen schnell, kostengünstig und bedarfsgerecht skaliert werden“, während eine „Oberleitung (Trafos etc.) auf Endausbau dimensioniert werden“ müsste. Vor allem wäre eine Wasserstoffinfrastruktur nicht nur Lkw vorbehalten, sondern könnte auch von Pkw genutzt werden. Die Brennstoffzelle, das betonen viele, sei das Antriebsmittel der Wahl im zukünftigen Fernverkehr. Allenfalls könnte, wenn der Technologiesprung gelänge, die Ladung von E-Fahrzeugen in Zukunft auch über Induktionsspulen in der Fahrbahn erfolgen.
Gegen „eHighways“ spricht nach Meinung mancher Diskussionsteilnehmer der erhöhte Wartungsbedarf von Infrastruktur und Fahrzeugen. Ihr Betrieb würde „verursacht durch regelmäßige Wartungsintervalle“ zu „deutlich mehr Staus führen“. Oberleitungen seien „anfällig für Wetter und Vandalismus“, stellten eine zusätzliche Gefahr bei Unfällen dar („sollte durch einen Anfahrunfall die Leitung runterkommen, muss sie erst stromfrei geschaltet werden“) und erschwerten die Landung von Rettungshubschraubern.
Schwer wiegen die Zweifel an der Leistungsfähigkeit von Autobahn-Oberleitungen. „Die zulässige Spannungslage ist viel zu gering, um mit vertretbarem Aufwand an Einspeisepunkten einen Betrieb mit akzeptablem Wirkungsgrad zu ermöglichen“, schreibt ein Diskussionsbeteiligter. Ein anderer präzisiert: „Bei Spannungen von ca. DC 750 V würde die notwendige Leistung nicht übertragen werden können, um die Masse an Lkw (eine volle rechte Spur) auch nur annähernd ausreichend versorgen zu können. Hochspannen wäre auch keine Lösung, da die dann zusätzlich nötige Technik die Lkw viel zu schwer machen würde.“
„Es gibt einfach keinen Business Case für diese aufwendige Technik“, bilanziert ein Diskussionsteilnehmer. Rein batterieelektrisch oder mit einer Brennstoffzelle betriebene Lkw könnten dagegen schon in absehbarer Zukunft alle Anforderungen erfüllen.
Contra: Eine Technik von gestern
Die Batterietechnik, heißt es in einem Beitrag, mache so schnelle und große Fortschritte, dass es bereits „in naher Zukunft Akkus für Lkw geben wird, mit denen genügend Reichweite zu erzielen ist. Da braucht man nicht mehr während des Fahrens den Akku laden“. Andere verweisen in diesem Zusammenhang auf den angekündigten Semi Truck von Tesla und empfinden das Konzept des „eHighways“ als antiquiert. „Lkw an Oberleitungen fahren zu lassen ist ein typisches Beispiel für Lösungen aus der Vergangenheit für Probleme von morgen.“ Warum diese Technik, die eine „lange Historie“ habe und „bei Bussen in Metropolregionen seit Jahrzehnten“ eingesetzt werde, überhaupt noch getestet werden müsse, sei unklar. Gehe es der ausrüstenden Industrie möglicherweise nur darum, Fördermittel abzugreifen, um einer überalterten Technik neues Leben einzuhauchen?
Contra: Keine Lösung für ein Transitland
Für ein Transitland wie Deutschland mit einem Verkehrsanteil von mehr als 40 % ausländischer Lkw seien Oberleitungs-Autobahnen eigentlich unmöglich, befindet ein Diskutant. „Lkw fahren über Ländergrenzen hinweg – wird es einen europäischen Standard für Oberleitungen geben?“ Wenn ja, dann müsste man für den Ausbau eines europaweiten Netzes mit „ca. 1000 Milliarden Euro“ rechnen. Wenn nein, dann müssten „ausländische LKW ohne Stromabnehmer an den Grenzen umgeladen werden“. Beides sei „völlig unrealistisch“.
Contra: Der Güterverkehr gehört auf die Schiene
„Es gibt bereits eine mit Oberleitung elektrifizierte Güterverkehrsstrecke in Deutschland. Dieses ist von der Deutschen Bahn. Anstatt ein weiteres Streckennetz zu bauen müsste das bestehende erneuert, erweitert und optimiert werden. Zwei Systeme mit Oberleitungen einzuführen, zu erweitern, zu warten ist nicht sinnig und ein extremer Kostenfaktor! Lieber ein sehr gutes System anstatt zwei mittelmäßige.“ Dieses Argument kommt im Chor der vielen Contra-Stimmen bei weitem am häufigsten vor, oft unterlegt mit der Forderung, dass die Schiene generell Priorität gegenüber der Straße haben müsse, wenn es darum gehe, einen nachhaltigen Güterverkehr zu verwirklichen: „Warentransport im Fernverkehr gehört auf die Schiene!“ Als Vorbilder seien in dieser Hinsicht Österreich und die Schweiz zu empfehlen.
In den Ausbau des Bahnnetzes und dessen weitere Elektrifizierung investieren, den Güterverkehr auf die Schiene verlagern und ihn an Container-Umladestationen nahtlos und intelligent mit batterieelektrischen Lkw-Verteilverkehren verknüpfen, deren Radius maximal 150 km betragen dürfe – dieser Wunsch wird in dieser Diskussion so vielstimmig und doch fast gleichlautend vorgetragen, dass man meinen könnte, die PR-Abteilung der Bahn habe ihn als Kanon orchestriert. Originell klingt der Vorschlag, den gesamten Güterverkehr in Zukunft „auf gekapselte Strecken“ zu legen, also die dafür bestimmten Bahngleise einzuhausen oder mit Deckel in den Boden einzulassen.
Fazit
„Eigentlich hätte man die Schiene schon seit mindestens 30 Jahren rigoros bevorzugen und vor allem logistisch effizienter machen müssen. Da man nicht alles sofort aufholen kann, wären mittelfristig Lkw mit Oberleitung zumindest Teil der Lösung.“ In diesem neutralen Kommentar spiegeln sich die verschiedenen Aspekte dieser Diskussion gut wider. Denn kein Beteiligter bestreitet, dass es zu einem nachhaltigen Mobilitätskonzept gehört, so viel Güterverkehr wie möglich auf die Schiene zu verlegen. Jedoch wird dies selbst bei bestem Willen einige Jahrzehnte lang dauern und nie vollständig gelingen. Dass batteriebetriebene Lkw im Fernverkehr einmal eine nennenswerte Rolle spielen werden, erscheint so unwahrscheinlich, dass nur wenige Diskussionsteilnehmer daran glauben, es sei denn, das induktive Laden ließe sich eines Tages realisieren. Viel stärker ist die Fraktion der Brennstoffzellenbefürworter, zumal die Gewinnung von Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen perfekt ins Konzept der Energiewende passt. Aber noch werden auch H2-Lkw relativ lange auf sich warten lassen. Wenn die Kosten vertretbar sind (worüber sich im Rahmen dieser Diskussion nur – je nach Interessenlage – unterschiedlich spekulieren ließ), dann könnten Oberleitungs-Autobahnen streckenweise also tatsächlich als klimafreundliche Übergangslösung dienen und auf Dauer vielleicht sogar dort eine dauerhafte Nische finden, wo sie „spezifische Logistikaufgaben effektiv und ökologisch realisieren können“, etwa beim Transport zwischen Häfen und Logistikzentren im Hinterland.
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