Kriminalität auf den Rastplätzen und schlechte Arbeitsbedingungen machen den ohnehin schon schwierigen Lkw-Fahrer-Job immer unattraktiver. Da jetzt auch die „Osteuropa-Reserve“ erschöpft ist, wird uns der Mangel bald im Alltag treffen.
Der Mann auf dem Foto trägt einen Vollbart, auf seinem linken Arm ist ein großes Tattoo zu sehen, sein Blick in die Kamera ist furchterregend. „Du passt in keine Schublade? Dann passt das mit uns!“, steht als Text darunter.
Mit derartigen Fotomotiven sucht die mittelständische Spedition Alfred Talke aus Hürth bei Köln Lkw-Fahrer für europaweite Touren mit Tankwagen. Die Familienfirma hat Tradition, hipp oder cool war sie bis vor Kurzem nicht.
Firmen aus dem Speditionsgewerbe müssen auffallen, wenn sie an neue Mitarbeiter herankommen wollen. Herkömmliche Wege über Arbeitsagenturen oder Stellenanzeigen im Internet reichen nicht.
Politik soll für Abhilfe sorgen
Laut einer Auswertung durch das Kraftfahrtbundesamt gehen jedes Jahr rund 67.000 Berufskraftfahrer in Rente. Eine andere Statistik weist aus, dass 20 Prozent der Lkw-Fahrer älter als 55 Jahre sind.
Dagegen kommen zum Beispiel im laufenden Jahr nur 27.000 Nachwuchsfahrer hinzu. Die Branchenverbände stellen sich darauf ein, dass jährlich mindestens 40.000 Lkw-Fahrer fehlen werden. Die Truckerbranche hat ein Altersproblem. Für Abhilfe soll nun die Politik sorgen.
Wurden im vergangenen Jahrzehnt Engpässe im Transportgewerbe durch Anbieter aus Osteuropa ausgeglichen, scheint dies nun vorbei zu sein. „Aus Bulgarien, Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern kommen kaum mehr Fahrer und Transportkapazitäten in den deutschen Markt“, sagte Marcus Hover, stellvertretender Hauptgeschäftsführer im Verband Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen. Mit rund 2200 Mitgliedsfirmen sind in der Region besonders viele Branchenfirmen vertreten.
Beruf gilt als gefährlich
Die Auswirkungen werden bald zu spüren sein. „Wir werden nicht mehr alle Güter zu jeder Zeit und überall zur Verfügung haben“, sagte Hover. Einigen Produktionsbetrieben bliebe kein anderer Ausweg, als die in den vergangenen Jahren stark eingeschränkte Lagerung notwendiger Teile wieder aufleben lassen.
Bereits in den kommenden Jahren könne das Wirtschaftswachstum vom Engpass der Transportkapazitäten gedrosselt werden. „Beim Personal den Bestand zu halten reicht nicht aus. Für das Wachstum brauchen die Unternehmen mehr Beschäftigte. Beides ist heute illusorisch“, sagte der Branchenlobbyist.
Gründe für den Fahrermangel gibt es viele. Neben der Altersstruktur betreffen sie die Arbeitsbedingungen. Wegen der hohen Kriminalität gilt der Beruf als zunehmend gefährlich. Vor allem der Diebstahl nimmt zu: Im vergangenen Jahr wurden Waren im Wert von einer Milliarde Euro von auf Parkplätzen abgestellten Lkw gestohlen.
Zuverlässigkeit statt Preis
Ohnehin sind die Autobahnparkplätze überfüllt. Besonders bei dem Wunsch, auch Frauen für den Lkw-Fahrerjob zu gewinnen, sind die steigenden Überfallzahlen ein großes Hindernis.
Bei der Bezahlung zeigt der Personalmangel ebenfalls bereits Folgen – jedoch für die Fahrer im positiven Sinne. So konnte die Gewerkschaft in der jüngsten Tarifeinigung für das Flächenland Nordrhein-Westfalen Lohnerhöhungen von knapp sechs Prozent für 2019 und vier Prozent für 2020 aushandeln.
Ein typischer Bruttomonatslohn zum Berufseinstieg liegt bei 1800 Euro plus Spesen. Ein guter Lkw-Fahrer mit Berufserfahrung verdient das Doppelte. Die Betriebe könnten diese Kostensteigerungen weitergeben, berichten mehrere Unternehmen. Statt wie noch vor Kurzem ausschließlich über den Preis werde derzeit mit den Kunden viel öfter über die Zuverlässigkeit der Transporte verhandelt.
Versorgungskollaps droht
Mancher Kunde aus der Industrie kommt mit dem Wunsch auf Spediteure zu, langfristige Verträge über bis zu zehn Jahre abzuschließen. In einem beispielhaften Fall lehnte das Transportunternehmen dies jedoch ab. Die Begründung lautete, dass die Firma gar nicht wisse, ob sie in Zukunft ausreichend Personal beschäftigen und überhaupt finden könne.
In einer gemeinsamen Aktion haben nun 17 Verbände aus der Logistik, dem Handel und der Industrie einen Forderungskatalog an den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer geschickt. Nach eigener Aussage repräsentiert dieser Zusammenschluss rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes.
Um den drohenden Versorgungskollaps doch noch abwenden zu können, müsse die Politik dringend handeln. Über verbesserte Sozialstandards auf europäischer Ebene zum Beispiel soll die Attraktivität des Fahrerberufs verbessert werden. In der Ausbildung und Qualifizierung sollen etwa Lkw-Führerscheine aus Nicht-EU-Ländern einfacher anerkannt werden.
Imagekampagne für den Lkw-Fahrerberuf
In der Infrastruktur wiederum soll neben mehr Parkplätzen vor allem das Baustellenmanagement optimiert werden, damit die Fahrer nicht derart viele Stunden im Stau verbringen müssen wie heute.
Beim Thema Fahrergewinnung soll der Bund es ausländischen Fahrern erleichtern, bei einer Jobzusage auch rasch in Deutschland anfangen zu können. Schlussendlich soll in der Digitalisierung die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Logistik ausgebaut werden.
Am Ende steht der Wunsch der Verbände, über eine Imagekampagne Kandidaten auf die Chancen des Fahrerberufs aufmerksam zu machen. Der Bund soll sich an den Kosten beteiligen. Interessante Fotomotive gibt es bereits.
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