Die Gefahr, dass LKW mit Mängeln erwischt werden, ist gering. Die zuständige Bundesbehörde BAG jagt lieber Mautsünder
Der Fahrer in dem weißen MAN-Truck hat es eilig. „Lebende Tiere“ steht auf dem langen Anhänger. Sie sollen einmal quer durch Deutschland verfrachtet werden, von Frankfurt (Oder) bis nach Wilsum an der holländischen Grenze. Doch schon kurz nach acht Uhr morgens muss der Fahrer eine unfreiwillige Pause einlegen. Die Sonderüberwachungsgruppe (SÜGru) Schwerlastverkehr der Polizei Brandenburg hat einen Kontrollpunkt aufgebaut und winkt reihenweise schwere Lkw raus. Auch den weißen MAN, aus dem es streng riecht.
840 Millionen Lkw-Fahrten finden jedes Jahr in Deutschland statt. Rechtsverstöße sind dabei an der Tagesordnung. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG), das ebenfalls Lkw-Kontrollen durchführt, hatte 2015 rund 512.000 Lkw kontrolliert und dabei mehr als 243.000 Verstöße festgestellt. Dazu gehören die Nichteinhaltung der Lenk- und Ruhezeiten, völlig überladene Lkw, defekte Fahrzeuge oder schlecht gesicherte Ladungen. Jeder dieser Mängel gefährdet die Verkehrssicherheit. Und an jedem fünften tödlichen Unfall in Deutschland ist ein Lkw beteiligt.
Der südliche Berliner Ring ist eine der Hauptverkehrsadern für Europas Spediteure, die große Ost-West-Achse. Innerhalb von 24 Stunden sind auf dem Abschnitt südlich von Potsdam rund 75.000 Fahrzeuge unterwegs, ein Drittel davon Lkw. „Bei unseren Kontrollen stellen wir zunehmend Verstöße fest“, sagt Hauptkommissar Heiko Schmidt. Seine Kollegen in der Polizeidirektion West hatten vor zwei Jahren 4277 große Lkw kontrolliert und davon bei 2497 Fahrzeugen insgesamt 7612 Mängel festgestellt. 2017 waren es 4327 überprüfte Fahrzeuge, davon 3014 beanstandete Lkw mit insgesamt 9710 Mängeln. Und die Statistik weist fürs erste Halbjahr eine weitere Zunahme an Verstößen aus. Meist halten die Fahrer die vorgeschriebenen Lenkzeiten nicht ein und machen zu kurze Pausen.
Aber es gibt auch Fahrzeuge, die in abenteuerlichem Zustand über die Autobahnen rollen. „Als ich mir mal einen Lastwagen aus dem Baltikum näher angeschaut hatte, sah ich, dass unten nicht nur die Bremsschläuche runterhingen, sondern ein ganzer Bremszylinder lose baumelte. Ich war fassungslos“, sagt Obermeister Christoph Schülzke.
Auf dem Kontrollpunkt der Brandenburger Sonderüberwachungsgruppe nehmen er und seine Kollegen inzwischen den weißen MAN auseinander. Sie leuchten in die Radkästen, checken die Bremsen, Bereifung, bewegliche Teile. Die Papiere werden kontrolliert und die Zeiten, wann der Fahrer gefahren ist und Rast gemacht hat. Nur die Ladung, 94 Jungsauen, bleibt unbesichtigt. Nebenan ist ein zweiter Trupp dabei, einen Neoplan-Reisebus zu überprüfen. Mitarbeiter des Landesamts für Bauen und Verkehr (LBV) untersuchen zusätzlich, ob Fahrer und Fahrzeug alle Beförderungsbedingungen erfüllen.
„Schon wieder Kontrolle“, murrt der Fahrer mit der Ferkelfracht. „Ich war erst gestern dran, bei Braunschweig.“ Aber tatsächlich ist die Gefahr, ins Netz von Verkehrspolizei oder BAG zu geraten, gering. „Unsere Umfrage bei den Bundesländern hat ergeben, dass 2017 ein Lastwagen in Baden-Württemberg 31.200 Kilometer weit fahren konnte, bis er kontrolliert wurde“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Burkert. „In Bayern und Nordrhein-Westfalen sind es rund 80.000 Kilometer, in Sachsen sogar fast 163.000.“ Der Verfolgungsdruck ist gering. Also riskieren viele Spediteure und Fahrer Touren mit Trucks, die nicht in Ordnung sind.
Vor allem für ausländische Spediteure sind die Geldbußen nicht der Rede wert. „Wenn wir eine gerissene Bremsschreibe entdecken, kostet das inklusive Bearbeitungsgebühr 108 Euro. Und bei fünf defekten Bremsscheiben, das hatten wir auch schon, kostet es das Doppelte“, sagt einer der Beamten der SÜGru. „Das gilt aber nur für Fahrer aus dem Ausland. Erwischen wir einen aus Deutschland, sind 200 Euro pro Bremsscheibe fällig, denn hier liegt außerdem ein Verstoß gegen die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vor.“ Besonders abschreckend ist auch das nicht, denn die Gefahr, von Mitarbeitern des Bundesamts für Güterverkehr erwischt zu werden, ist gering. Denn die Behörde konzentriert sich bei ihren Kontrollfahrten auf den Autobahnen vor allem darauf, die Mautsünder unter den Lkw-Fahrern zu erwischen. Bundesweit hatte die Behörde im vergangenen Jahr 231 Mitarbeiter im sogenannten Straßenkontrolldienst (SKD) im Einsatz.
Das sind jene Beamte, die Lkw-Fahrer und Fahrzeuge auf ihre Einsatzfähigkeit und die Einhaltung der Vorschriften überprüfen. Im sogenannten Mautkontrolldienst (MKD) sind deutlich mehr, nämlich 458 Mitarbeiter im Einsatz. Und nicht nur diese Schwerpunktsetzung, sondern auch die Verteilung der Aufgaben sorgt bei BAG-Mitarbeitern zunehmend für Irritation. MKD-Leute dürfen nämlich nur in geringem Umfang Aufgaben des SKD wahrnehmen – selbst wenn sie wollten und könnten.
Nico Schulz, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist seit vielen Jahren beim Mautkontrolldienst des BAG. Auf seinen Schichten fährt er mit seinem Transporter die Autobahnen ab. Der Job ist vor allem eine Geduldsprobe. „Es gibt wenig Mautsünder unter den Lkw-Fahrern. Manchmal bringe ich die ganze Woche keinen auf. Aber wir sind gehalten, rauszugehen, Präsenz zu zeigen“, sagt Schulz. „Aber Lastwagenfahrer, die unterwegs mit dem Handy telefonieren, Fahrzeuge, die mir auf den ersten Blick zu hoch, überladen und technisch nicht in Ordnung vorkommen, darf ich nicht kontrollieren. Das leuchtet mir und anderen Kollegen nicht ein.
Zwar sollen die Kräfte des BAG aufgestockt werden, weil klar ist, dass mit dieser Personalstärke eine wirksame Kontrolle kaum möglich ist. Und die Polizeidirektionen der Länder sind ebenfalls knapp besetzt. Daher sollen MKD und SKD rund hundert zusätzliche Mitarbeiter bekommen. Aber damit bleibt der Schwerpunkt auf der Kontrolle der Straßennutzungsgebühr, und das vor allem wegen der Einführung der Pkw-Maut. Der Straßenkontrolldienst muss weiter mit weniger Personal auskommen. Angesichts dessen wäre es sinnvoll, wenn die Mautkontrolleure auch darüber wachen, dass von Fahrern und Fahrzeugen keine Gefahr für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer ausgeht. Grundsätzlich ist das auch vorgesehen, in der Praxis findet es aber nur selten statt.