Seit vielen Jahren kündigen die Autobauer Elektrolaster und -busse an. Zu sehen im Straßenbild ist davon aber kaum etwas. Das soll sich endlich ändern – zumindest schon mal in der Stadt.
Hannover. Wenn die vollelektrischen Scania-Busse auf dem Hannoveraner Messegelände an den Besuchern vorbeisurren, dann schaut sich der eine oder andere verdutzt um – die schweren Fahrzeuge sind kaum zu hören. Was sich lärmgeplagte Anwohner auch für die Innenstädte wünschen, ist aber oft noch eher Wunsch als Realität. Das soll sich endlich ändern – so sieht es die Internationale Automobil-Ausstellung für Nutzfahrzeuge in Hannover voraus.
Städte leiden unter Staus, da der Lieferverkehr wegen des boomenden Online-Handels wächst und Pendler nur zögerlich aufs Auto verzichten. Zugleich haben es Kommunen und Automobilhersteller vielerorts nicht geschafft, die Abgasbelastung bei Stickoxiden unter die Grenzwerte der EU zu drücken. In ersten deutschen Großstädten gibt es Dieselfahrverbote, weitere sind gerichtlich angemahnt. Auch deshalb spricht der oberste deutsche Autolobbyist Bernhard Mattes, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), von einem „strategisch wichtigen Auftrag“ an die Transport- und Logistikbranche.
Es droht das Szenario, dass Handwerker mit ihren Transportern und Pritschen wegen zu hoher Schadstoffemissionen nicht mehr in die Innenstädte dürfen. „Wir bieten Produkte und Services an, die unsere Kunden erfolgreicher machen“, sagt Daimler-Nutzfahrzeugchef Martin Daum. Dieses Mantra der Konzerne könnte dann in sich zusammenfallen.
Und auch die schweren Brummis geraten mehr und mehr ins Brüsseler Visier. Erstmals will die EU-Kommission ihnen einen sinkenden Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxid-Gases (CO2) vorschreiben. Und die Ansichten darüber, was bis 2030 machbar ist, unterscheiden sich bei Politikern und Autobauern drastisch: Der VDA hält 16 Prozent für machbar, die EU mit 30 Prozent fast das Doppelte. Im Ringen um die Regeln sieht es für die Industrie schlecht aus, wenn es mit Elektroantrieben in der Praxis nicht vorangeht. Wobei die Hersteller sich weitgehend einig sind, dass auf der Langstrecke und für schwere Lkw der Dieselmotor wohl unverzichtbar bleibt.
Auf der Messe aber zeigt sich: Die Nutzfahrzeughersteller von Daimler bis Volkswagen wollen den Elektroantrieb bei Transportern und Bussen nun endlich in Serie bringen. Dass die Zeit drängt, zeigt etwa der Liefertransporter CitE der VW-Tochter MAN, der laut MAN-Chef Joachim Drees in nur 18 Monaten entwickelt wurde. Er soll mit breiten Türen und niedrigen Schwellen das häufige Ein- und Aussteigen des Fahrers erleichtern. Allerdings ist das Modell bisher nur ein Konzept und wohl erst ab 2021 verfügbar. Im Gegensatz dazu geht der elektrische Kleintransporter eTGE schon dieses Jahr an den Start.
Auch die Sparte der leichten Volkswagen-Nutzfahrzeuge nimmt immer mehr Modelle mit E-Antrieb ins Programm: Die VW-Tochter stellt fünf neue Elektro-Transporter vor – vom E-Bulli ID Buzz Cargo bis zum elektrischen Lastenfahrrad. Der ID Buzz Cargo ist bislang eine Studie: „Das ist ein Ausblick, wie wir uns den Bulli nach dem Bulli vorstellen“, sagt Spartenchef Thomas Sedran. Derzeit werde noch diskutiert, wo der ID Buzz gebaut werde – in Wolfsburg oder Hannover.
Mitte 2019 bringt VW den vom Partnerunternehmen Abt elektrifizierten Kleintransporter Caddy mit einer Reichweite von rund 220 Kilometern auf den Markt. Ebenfalls von Abt zum E-Transporter gemacht wird der Bulli T6, der laut Sedran ab Frühjahr 2019 bestellbar ist.
Viel Kritik müssen die Hersteller aber einstecken, weil das Angebot an elektrischen Bussen noch immer überschaubar ist. Ende des Jahres will Daimler den eCitaro in die Serienproduktion nehmen, Spartenchef Daum hat nach eigenen Worten schon viele Bestellungen eingesammelt. Zudem steckt der Konzern Geld in den US-Elektrobusanbieter Proterra, der schon Hunderte Busse in den USA und Kanada verkauft hat. MAN kommt erst 2020 mit dem Lion’s City 12E. Vorher will das Unternehmen den Bus umfangreich erproben.
Laut Kraftfahrtbundesamt sind nur 1,3 Prozent des Lkw-Bestands in Deutschland mit alternativen Antrieben ausgerüstet. Im städtischen Verkehr seien batteriebetriebene leichte Nutzfahrzeuge aber eine echte Alternative, urteilen die Experten der ING-Bank. Je kleiner die Fahrzeuge, desto eher wögen die niedrigeren Betriebskosten die hohen Anschaffungskosten für den Akku auf. Elektrofahrzeuge sind meist weniger anfällig für Reparaturen und Wartung.
Ob die mit spitzem Bleistift rechnende Kundschaft so empfänglich ist für die vollelektrische Nahverkehrswelt, bleibt aber fraglich. Daum sagt, Elektroantriebe seien noch teurer als Verbrenner. Ob städtische Kämmerer für E-Busse oder Handwerker für E-Transporter mehr Geld locker machen, wird also eine wichtige Rolle spielen.