Sachsen hilft osteuropäischen Brummifahrern, sich gegen Ausbeutung zu wehren – aus Sorge um die eigene Branche.
Nachmittags um vier scheint die Brummi-Welt auf der Autobahn 4 noch in Ordnung. An der Raststätte kurz vor Chemnitz ist kaum etwas los. Von den 70 Parkplätzen ist nur ein Dutzend besetzt. Auch auf den 134 Pkw-Flächen verlieren sich wenige Autos. Schlechte Aussichten am „Auerswalder Blick“ für jene Tramperin, die mit einem Pappschild „Hof“ auf Mitnahme hofft. Vor dem Restaurant wirbt ein riesiges Schaukelpferd für das nahe Erzgebirge und ein Banner für „Knusperschnitzel mit Pommes für 10,49 Euro“. Ein guter Treffpunkt für Leute, die sich auf dem weitläufigen Gelände verabredet haben.
An diesem Mittwoch kommt eine bunte Truppe zusammen: vier junge Frauen und ein Mann in neonfarbigen Leibchen, dazu Jackettträger aus Politik und Gewerkschaft. Sie eint das Ansinnen fairer Arbeitsbedingungen und gerechter Löhne – egal, aus welchem Land der Fahrer kommt. In einer Vier-Stunden-Aktion wollen sie Gespräche führen und Infomaterial verteilen.
„Ich bin der Geldgeber“, tritt Stefan Brangs, Sachsens Wirtschaftsstaatssekretär, in die Runde. Sein Ministerium finanziert das fünfköpfige Team der Beratungsstelle für ausländische Beschäftigte in Sachsen, kurz BABS, mit 500 000 Euro. „Wir wollen die schwarzen Schafe loswerden“, sagt er. Die Aufklärung könne „beitragen, deutsche Standards mit dem hier geltenden Mindestlohn und der Lohnfortzahlung bei Krankheit zum Standard für alle Lkw-Fahrer auf unseren Straßen zu machen“.
Anspruch auf deutschen Mindestlohn
Auf dem neongrünen Leibchen von Michael Wahl steht: „Faire Arbeit, faire Bezahlung, faire Mobilität“. Der Mann vom DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg ist seit über einem Jahr für das Projekt „Faire Mobilität“ aktiv und hatte mit über 3 000 Fahrern Kontakt, wie er sagt. Bei internationaler Kabotage, Transporten in einem Land durch ausländische Unternehmen, „herrscht Wildwest“. Die Fahrer säßen meist zwei, drei Wochen am Stück hinterm Lenkrad. Rumänen und Bulgaren kämen mit dem Minibus, stiegen sofort auf den Bock und wären gar zwei, drei Monate unterwegs. Viele Fahrer müssten in ihren Pausen sogar noch Ladetätigkeiten übernehmen.
Obwohl sich das Leben der Fahrer auf Westeuropas Autobahnen abspielt, werden sie oft mit Lohn auf osteuropäischem Niveau abgespeist: 1,57 Euro pro Stunde beträgt der Mindestlohn in Bulgarien. In Rumänien sind es 2,50, in der Slowakei 2,76 und in Polen 2,85 Euro. Dabei hatte das Finanzgericht Baden-Württemberg erst vor zwei Wochen bestätigt, dass der deutsche Mindestlohn von 8,84 Euro auch für ausländische Transportfirmen und ihre hier nur kurzzeitig eingesetzten Fahrer gilt.
Sie werden stattdessen im Krankheitsfall auch systematisch um einen Großteil der Lohnfortzahlung betrogen, heißt es aus Sachsens Wirtschaftsministerium. Viele müssten erleben, dass der letzte Monatslohn nicht gezahlt wird, wenn ihr Arbeitsverhältnis endet. Die Fahrer arbeiteten oft unter menschenunwürdigen Umständen. Der Arbeitgeber schickten sie quer durch Europa mit gerade mal acht Euro pro Tag für Verpflegung. Die Fahrer kampierten hinterm Lenkrad, obwohl ihnen ein Hotel zustehe. Da die Kosten dafür aber von den Spesen abgehen, bleiben sie lieber im Auto – angesichts der jährlich 26 000 beklauten Laster auch aus Sorge um die Ladung.
Neben einem Sattelzug aus Mazedonien brutzeln zwei Fahrer auf einem Gaskocher Kartoffeln mit Speck. Sie seien seit fünf Tagen unterwegs, hätten 2 000 Kilometer in den Knochen und ließen jetzt den Tag ausklingen, sagt der eine – dem schwarz-weiß-gestreiften Trikot nach, ein Fan von Juventus Turin. Die Idylle trügt. Mit Infos sind sie sparsam und in die Zeitung wollen sie gar nicht. Die Aufklärer haben es nicht leicht. Viele Fahrer sind unsicher, mancher lugt hinter der zugezogenen Gardine hervor. Angst vor Kontrolle – nicht ahnend, dass jene da draußen Helfer sind.
Wenige lassen sich auf längere Gespräche ein und sind bereit, über ihr Nomadenleben zu berichten. „Viele waren einfach für die Informationsflyer – sogar in ihrer Muttersprache – und Kontakte zur Beratungsstelle dankbar“, sagt BABS-Beraterin Leona Bláhová. Ihre Kollegin Paulina Bukaiová spricht vor allem mit polnischen Fahrern. „Manchmal hören wir wirklich grausame Geschichten“, sagt sie. Es gebe Fahrer, „die arbeiten seit Jahren für eine Speditionsfirma, haben aber noch nie ihre Lohnabrechnung gesehen“. Sie bekämen zwar Lohn, wüssten aber nicht, ob die Höhe stimme und die gesetzlichen Beiträge zur Kranken- und Sozialversicherung gezahlt würden. „Es gibt aber auch gute Geschichten“, relativiert sie. Einige Fahrer seien mit ihrem Arbeitgeber sehr zufrieden.
Laut Bundesamt für Güterverkehr sind die Mautkilometeranteile von Lkws aus Westeuropa seit 2007 von 13 auf sieben Prozent gesunken. Dafür haben sich die der Osteuropäer von 18 Prozent auf ein Drittel erhöht. Allen voran die Polen, die auch Parkplätze am „Auerswalder Blick“ dominieren.
Deutsche Anbieter auf dem Rückzug
Weil sie dem Preiskampf nicht gewachsen sind, verlassen immer mehr deutsche Unternehmen nach dem internationalen auch das nationale Geschäft und fahren nur noch regional. Der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung sorgt sich um die Branche, die Attraktivität des Fahrerberufs und appelliert an die EU-Politik, den Wildwuchs nicht zu legalisieren, indem sie grenzüberschreitenden Verkehr aus der Entsenderichtlinie entlässt. Dieses Ansinnen hatte es gegeben.
Doch DGB-Mann Wahl weiß: „Schwarze Schafe sitzen nicht nur im Ausland. Auch deutsche Unternehmen organisieren Lohn- und Sozialdumping“, sagt er. Wer als Auftraggeber so wenig bezahle, sei sich sehr wohl bewusst, dass das Geschäft nur über Billiglöhne funktioniere. Auch Andreas Brosam vom Kraftfahrerkreis Chemnitz-Zwickau kennt sich aus. Er fährt einen 40-Tonner für Weck + Poller in Zwickau, eine der größten Speditionen Sachsens. „60 Prozent der ausländischen Laster fahren in deutschem Auftrag“, sagt er, und: „Nicht die ausländischen Fahrer sind die Bösen. Sie sind Kollegen, die ausgebeutet werden.“
18 Uhr, der Parkplatz füllt sich. Die Laster haben tschechische, slowakische, litauische, bulgarische, ukrainische und vor allem polnische Kennzeichen. Doch das hat nicht viel zu sagen, der Kosten wegen. „Immer öfter sitzen auf deren Autos Ukrainer“, sagt Michael Wahl. Die Ausbeutung verschiebe sich weiter gen Osten.
Der Aufklärungstrupp wechselt auf die andere Autobahnseite zur Raststätte Süd Richtung Dresden. Laut Pächter Günther Wagner machen ausländische Trucker gern bei ihm halt – auch wegen der im Frühjahr sanierten Toiletten und Duschen und der hellen LED-Beleuchtung auf dem im Vergleich zum Autohof kostenfreien Parkplatz. Auch müssten die Fahrer wegen der neigungsfreien Stellfläche nicht mit dem Kopf nach unten schlafen.
Helfer, aber keine Babysitter
Aleksej ergattert den letzten Parkplatz. Der Ukrainer sitzt auf einer slowakischen Zugmaschine und zieht einen tschechischen Auflieger. Er komme von der französischen Grenze und ist hundemüde. Doch er lässt die Scheibe runter. Er müsse nach Lichtenau, sagt der 46-Jährige. Und obwohl er in einer Viertelstunde am Ziel wäre, befiehlt der Fahrtenschreiber: Pause! Er sei Ingenieur in der Flugzeugindustrie gewesen und verdiene sein Geld seit zwei Jahren als Lkw-Fahrer. Weil Tochter und Sohn studierten, müsse er Geld ranschaffen. Er habe Heimweh und wolle zur Pilzsaison zu Hause sein. Als die Sonne untergeht, zieht BABS-Chefin Leona Bláhová Bilanz. „Wir haben mit 48 Lkw-Fahrern aus 8 Ländern gesprochen“, sagt sie. Die meisten hätten zumindest das Informationsmaterial eingesteckt. Die Aktion sei ein Erfolg gewesen.
Ihre Kollegin Paulina Sokolowska setzt, wie nach der ersten Raststättenaktion im Februar, auf die Mund-zu-Mund-Propaganda danach. „Wer freiwillig zu uns kommt, ist auch für Ratschläge offen“, sagt die 34-jährige Polin und betont: „Wir sind keine Babysitter und geben nur Anstöße. Am Ende muss sich jeder selbst kümmern.“ 19:45 Uhr. Am „Auerswalder Blick“ dämmerts. Vielleicht auch manchem Brummifahrer.