Lkw-Fahrer müssen sich laut Gesetz alle fünf Jahre weiterbilden. Das ergibt aber nur Sinn, wenn auch die Schulungsanbieter im Rahmen der Kurse neue Inhalte anbieten. Meine Eindrücke einer reinen Schein-Veranstaltung.
Seit Januar treibt mich eine Frage um: Kann man mit weniger Wissen aus einem Unterricht herauskommen, als man hineingegangen ist – noch dazu, wenn dieser Unterricht als innovativ beworben wird? Eigentlich nicht. Ich komme allerdings darauf, weil ich gerade vier meiner fünf Module laut Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz an einem Stück absolviert habe. Der Einfachheit halber wählte ich einen Kurs auf dem SVG-Autohof Köln-Eifeltor. Denn den kann ich mit dem Fahrrad erreichen. Okay, ich gebe zu, auch ich habe ein wenig zu lange gewartet, weil sich kein fürsorglicher Unternehmer darum kümmert, wann mein Führerschein und meine Fahrerkarte ihre Gültigkeit verlieren. Ich musste also handeln. Nur einmal in den vergangenen fünf Jahren, im Rahmen einer Reportage, habe ich ein Profitraining bei Daimler in Wörth mitgemacht. Davon profitiere ich bis heute.
Schulung wurde von einem von der SVG beauftragten Unternehmen durchgeführt
Ich habe mich ganz bewusst als Journalist bei der Pressestelle der SVG für vier von fünf Kursen innerhalb einer kompletten Schulungswoche Anfang Januar angekündigt. Die BBG Gesellschaft für betriebliche Beratung und Betreuung mbH, führte die Veranstaltung im Auftrag durch. Bei diesem Unternehmen habe ich später auch die Rechnung bezahlt.
Ich war vor Beginn des Kurses allen Ernstes der Meinung, ich würde auf wirklich wissbegierige Kraftfahrer und einen diskussionsfreudigen Trainer treffen. Ich wollte mich über den aktuellen Stand in den Themen „Sozialvorschriften“, „Wirtschaftliches Fahren“, „Ladungssicherung“ und „Fahrsicherheit“ austauschen. Immerhin schreibe ich regelmäßig über diese Themen.
„Mitmachen statt langweiligen Frontalunterricht“
Zudem hatte die SVG in der Berufskraftfahrer Zeitung von sich selbst behauptet „interaktive Lernkonzepte“ anzubieten und versprach „Mitmachen statt langweiligem Frontalunterricht“. Genau mein Ding! „Die 500 SVG-Trainer und -Moderatoren und 100 Fahrlehrer setzen auf eine praxisorientierte Wissensvermittlung mit Workshop-Charakter“, heißt es in dem Beitrag, in dem Jörg Rehaag, Leiter Weiterbildung bei der SVG-Zentrale in Frankfurt, zitiert wird: „Qualifikation ist der Schlüssel zu mehr Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Erfolg. Wir sind überzeugt davon, dass nur gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter die Aufgaben der Zukunft bewältigen können und darüber hinaus dem Unternehmen einen Vorteil verschaffen.“ Eine Aussage, deren Inhalt ich uneingeschränkt teile.
Nur knapp ein Zehntel aller Unternehmen greift auf Fördergelder zu
Ich bin allerdings auch der Meinung, dass dieses hehre Ziel mit rein theoretischem Unterricht und ohne abschließende Prüfung nur sehr schwer zu erreichen ist. Daher ist bereits am 2. Mai 2016 die Richtlinie des Bundesverkehrsministeriums über die „Förderung der Weiterbildung in Unternehmen des Güterkraftverkehrs mit schweren Nutfahrzeugen“ in Kraft getreten. Seither können Unternehmen Förderanträge für praktische Weiterbildungsmaßnahmen einreichen. Und so habe ich mich vor meinem Schulungsbeginn beim Bundesamt für Güterverkehr, BAG, erkundigt, wie viele Förderanträge seither gestellt wurden. Die Antwort ist für mich irgendwie ernüchternd: 4.012. Das ist weniger als ein Zehntel der deutschen Transportunternehmen im gewerblichen Güterkraftverkehr.
Merkwürdige Zusammenstellung der Kursteilnehmer
Genug der Vorrede. Wissbegierig betrat ich um halb acht den Schulungsraum. Bereit, mich in sieben Zeitstunden über den neusten Stand der Technik und gesetzliche Änderungen weiterzubilden. Da gibt es schon einiges, was auf die Fahrer zukommt. Etwa der aktuelle Wirrwarr um das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen. Doch zunächst stutzte ich über die Zusammensetzung der rund 15 regelmäßigen Kursteilnehmer, die der Organisator von Modul zu Modul um Tagesgäste ergänzte. Im Kurs saßen zum einen die langjährigen, erfahrenen und motivierten Lkw-Fahrer.
Vollkommen überrascht war ich jedoch über eine Gruppe von fünf Teilnehmern, die gerade ihre vollständig von der Arbeitsagentur finanzierte sechsmonatige Umschulung zum Lkw-Fahrer absolvierten und noch gar keinen Führerschein hatten. Auf meine spätere Rückfrage an die SVG, wieso Teilnehmer, die ihre Ausbildung mit einer Prüfung vor der IHK abschließen und damit für die kommenden fünf Jahre ihre Kennziffer „95“ erhalten, schon jetzt im Rahmen einer Weiterbildung ihre „95“, die sie noch gar nicht haben, verlängern, antwortete mir die Pressestelle sybillinisch: „Die Teilnahme dieser fünf Personen an der ‚“Modulwoche“ ist lediglich als inhaltliche Ergänzung zur Qualifizierungsmaßnahme zu sehen. Eine offizielle Weiterbildungsbescheinigung gemäß Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz wird diesem Personenkreis nach der „Modulwoche“ nicht ausgehändigt, der Kurs ist aber Bestandteil der Beschleunigten Grundqualifikation.“ Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass der Kurs auf diese Weise mit Teilnehmern aufgefüllt wurde.
Extreme Wissensunterschiede behindern Fortbildung
Das Problem an dieser Vorgehensweise: Die ganzen vier Tage, während der ich die Schulungen besuchte, waren bestimmt durch extreme Unterschiede im Vorwissen. Das konnte nicht funktionieren. Dazu kommt ein grundsätzliches Problem: Mit von Jahr zu Jahr leicht steigender Tendenz wird derzeit in Deutschland jeder, der sich nicht wehren kann, zum Lkw-Fahrer umgeschult. 2016 waren es laut DIHK 16.463 Teilnehmer. Die Quote der bestandenen Prüfungen schwankt dabei zwischen 83 und 85 Prozent. Wie viele dieser Teilnehmer der Branche am Ende auch als Berufskraftfahrer erhalten blieben, darüber gibt es leider keine Zahlen. Ich bin mir nicht sicher, ob alle, für die der Staat viel Geld ausgibt, in der rauen Wirklichkeit der Straßen und Rampen lange durchhalten.
Ich habe mich im Laufe der vier Tage mit meinen Sitznachbarn unterhalten: Der Mittvierziger zu meiner Rechten hatte wohl zuletzt bei einem Security-Unternehmen gearbeitet, schimpfte über Flüchtlinge, denen der Staat alles bezahlen würde und hatte den Job wohl verloren, weil er während seiner Arbeit angeblich jemanden zu hart angefasst hatte. Darüber hatte er sich persönlich beim Justizministerium in Bonn beschwert, aber noch keine Antwort bekommen. Er schrieb jedenfalls fleißig mit.
Mein Nachbar zur Linken hatte mehrere Semester Physik studiert, dann als Taxifahrer, Nachtwächter und Pizzabote gearbeitet, bis die Firma insolvent wurde. Er trank kalten Nescafé aus einem Joghurtglas, hatte einen Kohlkopf dabei, hantierte mit Keulen in der Pause und trieb den Trainer während des Moduls „Ladungssicherung“ beim Thema „Einfluss der Reibung auf die Sicherungskraft“ mit seinen Einwänden bis fast zur Relativitätstheorie in den Wahnsinn. Er möchte gerne in den internationalen Fernverkehr.
Dann gab’s doch wenig innovativen Fontalunterricht
Es wurde dann doch der Frontalunterricht durch einen langjährigen Berufssoldat, Fahrlehrer aller Klassen und Mitinhaber eines Schulungsdienstleistungsunternehmens, der bei Firmen selber Kurse abhält – was er immer wieder betonte.
Ich will mich hier nicht ausgiebig über die Schulungsinhalte der vier Tage äußern. Das würde den Rahmen des Blogs sprengen. Nur so viel: die eine Gruppe der Teilnehmer konnte, mangels Lkw-Führerschein und nicht vorhandener praktischer Erfahrung, kaum folgen. Die andere Gruppe wusste vieles besser, wenn ihre Ausführungen auch zum Teil falsch waren. Oft führte der Unterricht zurück bis hin zu Inhalten der ersten Fahrstunde. Stoff, den alle Teilnehmer, auch ich, nur lückenhaft kannten. Aber dafür hatte ich die Modulschulung nicht gebucht. Und ich weiß bis heute nicht, was ein nahezu 45 Minuten langer Exkurs über den mehr als 20 Jahre zurückliegenden Elchtest der Mercedes A-Klasse in einem Modul für „Wirtschaftliches Fahren“ zu suchen hat. Den meisten Teilnehmern schien es egal zu sein. Hauptsache die Zeit verging.
Keiner interessierte sich für wirklich bedeutende Gesetzesänderungen
Am Anfang hatte ich Einwände, die aber niemanden wirklich interessierten. Ich wies etwa darauf hin, dass Frankreich von seiner Sonderrolle, dass die Fahrer in einer Doppelbesatzung 45 Minuten Pause, korrekt: Fahrtunterbrechung, machen müssen, längst wieder abgerückt ist. Oder dass es den Begriff „Schichtzeit“ in den bestehenden Sozialvorschriften nicht mehr gibt und der Verweis auf das Jugendarbeitsschutzgesetz auch nicht weiter führt. Dass bislang noch kein Fahrer, der seine Fahrerkarte mit einer anderen Nummer als auf seinem Führerschein in seinen Tacho steckt, für die „Fälschung technischer Aufzeichnungen“ vom BAG strafrechtlich verfolgt wurde.
In jedem der vier Kurse war es so, dass der Ausbilder mit Müh‘ und Not nur das Grundwissen, das im nunmehr zweiten Fünf-Jahres-Turnus der Modulschulungen eigentlich vorhanden sein sollte, vermittelte. Aber niemand aus dem Kurs hat beispielsweise gelernt, wie man einen Nachtrag richtig vornimmt. Und für jemanden, der so wie ich, beim Profitraining in Wörth bei der Fleetboard-Note nur unwesentlich schlechter abgeschnitten hatte als der Trainer, war es schlicht grausam, alle Hinweise zur wirtschaftlichen Fahrweise nur in der Theorie zu hören.
Mit jedem Schulungstag wurde ich müder und von der anfänglichen Motivation war nicht mehr viel übrig. Als am Freitag dann noch der Kaffeeautomat den Geist aufgab, wollte auch ich nur noch meinen Schein.