Ortenau – Berufskraftfahrer befördern längst nicht mehr nur Waren von A nach B, sondern sind qualifizierte Fachkräfte. Während die IHK von stabilen Azubi-Zahlen spricht, suchen Spediteure in der Ortenau händeringend nach Nachwuchs.
Kraftfahrer sind gefragter denn je: Der Internethandel boomt und Lastwagen sind das Bindeglied zwischen Herstellern, Handel und Kunden. Der Führerschein Klasse C/CE allein reicht längst nicht mehr aus, um im gewerblichen Bereich als Kraftfahrer zu arbeiten. Gerade Quereinsteigern fällt es immer schwerer, in dieser Berufsgruppe Fuß zu fassen – dabei werden sie dringend gesucht.
> Agentur für Arbeit: Insgesamt 96 offene Stellen für Berufskraftfahrer sind derzeit in der Ortenau gemeldet. Pressesprecherin Roswitha Huber bestätigt, dass die Nachfrage nach Fachkräften im Güter- und Personenverkehr generell hoch sei. 16 Firmen suchen derzeit Azubis für das kommende Lehrjahr. Im Berufsberatungsjahr 2017 wurden 28 Ausbildungsstellen gemeldet – das waren acht weniger als im Vorjahr. Von November 2016 bis Oktober 2017 nahmen insgesamt 177 arbeitslose Kraftfahrer, die von der Arbeitsagentur betreut wurden, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf.
> IHK: Hinsichtlich der Azubi-Zahlen sieht die Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein keine Probleme. Simon Kaiser, Leiter des Geschäftsbereichs Aus- und Weiterbildung, erklärt, dass die Zahl der Berufskraftfahrer-Lehrlinge sehr stabil sei und seit zehn Jahren zwischen 45 und 60 Verträgen jährlich pendele. In der Ortenau habe es im vergangenen Jahr 49 Auszubildende gegeben, im gesamten Kammerbezirk 113. Das zeige seiner Meinung nach, dass der Beruf eine „feste Größe im regionalen Ausbildungsangebot“ sei.
> Rolf Wildt: Der Inhaber der Ettenheimer Spedition Friedrich Wildt sieht dies weniger gelassen: Der Fachkräftemangel sei deutlich spürbar. Der Spediteur beschäftigt 70 Berufskraftfahrer und zwei Auszubildende. „Der Altersdurchschnitt liegt bei ›50 plus‹. Viele gehen jetzt in Rente, und es gibt wenig Nachwuchs“, berichtet er. Gründe liegen seiner Ansicht nach beim Wegfall der Wehrpflicht – durch die Bundeswehr war ein „riesiges Potenzial“ an Kraftfahrern gesichert. Hinzu komme, dass der Beruf für Quereinsteiger kaum erschwinglich sei. „Um als Berufskraftfahrer zu arbeiten, reicht nicht nur der LKW-Führerschein“, erklärt Wildt. Gewerbliche Fahrer müssten zusätzlich die „Beschleunigte Grundqualifikation“ erwerben, die 180 Stunden umfasse und circa 6000 Euro koste. Für die dreijährige Ausbildung fehle es bei seiner Spedition an geeigneten Bewerbern. Der Beruf wirke auf viele unattraktiv. Andreas Lipsdorf: „Derzeit ist es praktisch unmöglich, Fahrer zu finden“, berichtet der Geschäftsführer der Lipsdorf Spedition in Lahr. „Gleich null“ wären die Reaktionen auf Stellenanzeigen, die seine Firma schaltet. „Wir würden auf der Stelle vier Fahrer einstellen“, geht er noch einen Schritt weiter. Den Nachwuchsmangel begründet er damit, dass das Berufsbild des Kraftfahrers „in Verruf“ geraten sei: „Die Konkurrenz aus Osteuropa, die mit deutlich weniger Personalkosten günstigere Frachtpreise anbieten kann, hat einen erheblichen Anteil auf dem deutschen Markt eingenommen. Und das geht zu Lasten des Personals“, erklärt er.
Marco Müller: Eltern zu erklären, dass ihre Kinder eine Ausbildung zu einem Beruf machen sollen, der wenig Anerkennung in der Gesellschaft findet, und in dem man nach der Lehre zwischen 1800 und 2100 Euro Brutto verdient, gestaltet sich aus Sicht von Kraftverkehrsmeister Müller schwierig. Auch die gesetzlichen Änderungen im gewerblichen Güterkraftverkehr erschweren die Nachwuchssuche. Früher konnten die Ausscheider der Bundeswehr, die während der Wehrzeit den Führerschein gemacht haben, diesen ins Zivile überschreiben. Das ist heute nicht mehr möglich.