Ein 70 Meter langes Windrad-Rotorblatt muss über Stadt- und Landstraßen von Schwelm nach Hagen gebracht werden. Viel Millimeterarbeit – und viel zu Gucken.
Von Daniel Chur
„Jetzt bin ich wirklich aufgeregt“, sagt Salvador Villalpando, dem man die Nervosität allerdings nicht einen Moment ansieht. Konzentriert ist der Bauleiter der Windernergie-Firma SL NaturEnergie aus Gladbeck, die gerade mehrere Windräder in Hagen errichtet, allerdings schon.
Der Transport des riesigen Rotorblattes liegt in seiner Verantwortung und in der des Projektleiters der zuständigen Schwertransportfirma.
Route schwer zu planen
Es ist 22 Uhr auf einer großen Wiese in Schwelm. Wochenlang wurden hier sechs Rotorblätter für zwei Windräder zwischengelagert, die voraussichtlich im Spätsommer in Hagen-Rafflenbeul in Betrieb genommen werden. Genau dahin müssen die Kolosse in den nächsten Wochen gebracht werden – durch Innenstädte und über Landstraßen.
Salvador Villalpando leitet den Bau der beiden neuen Windenergieanlagen
„Es hat lange gedauert, bis unsere Route feststand“, berichtet Salvador Villalpando, „direkt über die Autobahn nach Hagen fahren, war nicht möglich, weil dort eine Brücke marode ist. Und über Remscheid funktionierte es auch nicht. Das hier war die letzte Möglichkeit.“
Transport mit Fernsteuerung
Und diese Tour hat es in sich: Es geht mitten durch die Schwelmer Innenstadt mit vielen Kurven und zum Teil engen Straßen. Dann geht es über bergige Landstraßen über Halver und Breckerfeld nach Hagen. 44 Kilometer – größtenteils im Schritttempo. „Wenn es gut läuft, brauchen wir zwei Nächte, sonst eher drei“, so Villalpando.
Nicht nur die Route, sondern auch der Transport selbst ist etwas besonderes: Das knapp 70 Meter lange Rotorblatt ist auf einem speziellen Tieflader befestigt, der nicht von einem LKW gezogen wird, sondern den ein Arbeiter mit Hilfe von zahlreichen Kollegen fernsteuert. Wie ein überdimensioniertes Modellauto quasi.
100 Tonnen über 44 Kilometer
Das Rotorblatt ist mit dem schweren Ende auf dem Tieflader befestigt, das leichtere Ende schwebt in der Luft und kann auf der Ladefläche sogar bis zu 60 Prozent in die Höhe aufgerichtet werden, um durch enge Kurven zu kommen. Das Gesamtgewicht des Transports beträgt rund 100 Tonnen.
Es ist ein bizarrer Anblick, wenn diese 100 Tonnen und 70 Meter die engen Kurven kurz vor der Schwelmer Innenstadt passieren. Ein Anblick, den sich zahlreiche Anwohner nicht entgehen lassen wollen, obwohl es inzwischen kurz nach 23 Uhr ist.
Viele Menschen stehen am Straßenrand, filmen mit Handys, fachsimpeln und staunen – es erinnert an ein „Public Viewing“. „Wir sind begeistert“, sagt Anwohnerin Andrea Hahne, „alle Leute sind hier wie bei einem Feuerwerk aus dem Haus gestürmt, um das zu beobachten.“
Durch die engen Kurven von Schwelm
Und es gibt viel zu sehen. Einmal schwebt das Ende des Rotorblatts ganz knapp über einem Haus, um durch die Kurve zu gelangen. Dann muss der Mann an der Fernbedienung immer wieder vor und zurücksetzen, damit ein Baum heile bleibt. Wieder in einer anderen Kurve muss eine Ampel kurzerhand zur Seite gedreht werden. Rund 30 Menschen sichern den Transport ab.
Barbara Schneider, ebenfalls Anwohnerin, muss eigentlich um vier Uhr aufstehen, steht aber auch kurz vor Mitternacht immer noch am Straßenrand: „Wann sieht man das schon mal?“ Noch am Vormittag hatte sie mit einigen Arbeitern gesprochen, die den Transportweg vorbereiteten.
Der Weg in die Schwelmer Innenstadt ist geschafft
Eigentlich hatte sie ihnen versprochen, Kaffee rauszubringen. „Aber jetzt sind die Männer so konzentriert, dass ich mich nicht traue, die anzusprechen“, lacht sie.
Fast drei Stunden sind vergangen, als die schwierige Passage bis ins Zentrum von Schwelm überwunden ist. „Da kann man erst mal durchatmen“, sagt Salvador Villalpando, der seit dem Start des Transports alles im Blick behält. Trotzdem weiß er, dass erst ein sehr kleiner Teil der Strecke geschafft ist.
Windkraft im südlichen Ruhrgebiet kommt langsam voran
Geduld braucht man so oder so beim Realisieren der Windkraft, speziell in der Region südliches Ruhrgebiet hin zum Sauerland, sagt auch Stefanie Flam von SL NaturEnergie: „Es geht hier gerade viel voran, aber die Genehmigungsprozesse dauern teilweise immer noch Jahre, weil die Überlastung vieler Behörden nicht von heute auf morgen gelöst ist.“
Neben dem Standort Rafflenbeul in Hagen baut die Firma zurzeit noch weitere Windräder in Hagen. Nebenan in Breckerfeld hat der Energiversorger AVU gerade eben ein neues großes Windrad aufgestellt, das im April den Betrieb aufnehmen soll. Die beiden Windräder in Hagen-Rafflenbeul sollen künftig 8.500 Haushalte mit Ökostrom versorgen.
Nächster Transport nach Ostern
Die Nacht endet für Salvador Villalpando übrigens um 6 Uhr früh nach insgesamt 12 Kilometern kurz hinter Schwelm. Es werden nun doch drei Nächte für den Schwertransport. Und nach Ostern wird das zweite der sechs Rotorblätter transpoprtiert. Wieder über diese Route.