Die Bahn war vor Jahrzehnten Marktführer im Segment Schwertransporte. Doch während das Straßennetz ausgebaut wurde und immer mehr Spezialfahrzeuge auf die Straße kamen, blieben die Investitionen in die Schiene aus. Mittlerweile handelt es sich bei außergewöhnlichen Transporten auf der Schiene um eine überschaubare Marktnische – mit Potenzial, meinen einige.
Zu diesen Transporten gehören Teile für Windenergieanlagen, wie sie die Eisenbahngesellschaft Ostfriesland-Oldenburg (EGOO) neben anderem befördert. Oder Loks, Triebfahrzeuge und Waggons, die etwa aufgrund ihres Spurprofils oder ihrer Kupplungshöhe nicht einfach selbst auf der Schiene zum Empfänger rollen können. Um solche Ladungen kümmert sich Rail Adventure. Das Unternehmen wickelt beispielsweise Test- und Überführungsfahrten für die Bahnindustrie ab. Trafos mit Gewichten von oft mehreren 100 t sind ein klassisches Transportgut für Schiene und Binnenschiff. Hier sind unter anderem Daher Projects, Elba Logistik, Kübler Spedition und die VEB Vulkan-Eifel-Bahn Betriebsgesellschaft aktiv. Wobei VEB und Elba Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind, Daher und Kübler dagegen Speditionen. Sie betreiben die Spezialwagen, bringen die Kunden und betrauen die EVU mit der Transportdurchführung. DB Cargo wickelt diverse unterschiedliche Ladungen ab wie auch die österreichische Rail Cargo Group. 140 m lange Schienen, die flexibel genug sind, um über mehrere Wagen gelegt zu werden, hat etwa VTG Rail Logistics schon transportiert.
Einzelprüfung notwendig
Pauschal gültige maximale Abmessungen gibt es nicht. Jede Ladung muss individuell geprüft und ein passender Wagen ermittelt werden. Allerdings sind Tragfähigkeiten von Brücken, Lichtraumprofile von Tunneln, Signalmasten an der Strecke und Bahnsteighöhen zu beachten. „76 cm Höhe, wie sie bei der Sanierung von Bahnhöfen gebaut werden, sind eine kaum zu überwindende Hürde“, erklärt Christian Stavermann, Prokurist und Leiter Verkehr bei EGOO. Dann blieben oft nur Umfahrgleise, die aber im Zuge von Sanierungen häufig zurückgebaut würden.
Jedoch gibt es Wagen für besonders schwere Ladungen, sogenannte Tragschnabelwagen (Uaai-Wagen), bei denen der Ladungsträger um 50 cm nach rechts oder links sowie nach oben oder unten verschoben werden kann, um Engstellen zu passieren. Geht es um solche Spezialwagen, haben nur wenige Unternehmen wie Daher, Felbermayr Transport- und Hebetechnik oder Kübler solches Equipment, vermieten dies aber auch. Felbermayr verfügt zum Beispiel über Waggons mit sechs bis 32 Achsen und Tragfähigkeiten von bis zu 500 t, Kübler besitzt Wagen mit Nutzlasten bis 348 t.
Umweltfreundlich und kalkulierbar
Abgesehen von den auf der Schiene möglichen hohen Stückgewichten – nach Meinung von Thorge Clever, Prokurist bei Kübler, sind vor allem Güter mit Gewichten von mehr als 100 t für Schiene und Wasserstraße prädestiniert – führen die Unternehmen die Umweltfreundlichkeit als Vorteil der Bahntransporte an. Hinzu kommen die Unabhängigkeit von Wasserständen und das gegenüber Wasserstraßen größere Netz von Transportwegen. Zudem bezeichnen die Marktteilnehmer die Verkehre als gut plan- und kalkulierbar.
Allerdings: Neben der logistischen Herausforderung in Bezug auf die Transportplanung inklusive geeignetem Leitungsweg und verlässlicher Partner hemmt die lange Prüfzeit von bis zu vier Monaten, bis eine Transportgenehmigung vom Infrastrukturbetreiber erteilt wird. Trassen müssen zusätzlich bestellt werden. Die Genehmigung wiederum gilt dann drei bis zwölf Monate. Ein Vorteil gegenüber der Straße, führt Stavermann an. Sollten aber in dieser Zeit Baustellen dazwischenkommen oder die präferierte Strecke anderweitig nicht geeignet sein, muss erneut eine Genehmigung beantragt werden.
Ad-hoc-Verkehre im Lademaß überschreitenden Bereich sind entsprechend schwer möglich. Es gibt jedoch bei den Genehmigungsverfahren Unterschiede, je nachdem, ob sich das zu verladende Gut mit Wagen innerhalb oder außerhalb der sogenannten „Umrisslinie Preisbildung Machbarkeitsstudie aT“ befindet. Und schließlich gibt es Ladungen, die auf der Straße mit 60 oder 100 t längst als genehmigungspflichtiger Schwerguttransport gelten, auf der Schiene aber nicht genehmigungspflichtig sind. Dann geht es mit der Bahn durchaus schneller voran als mit dem LKW.
Kurze Zeitfenster auf den Schienen
Schnell ist die Ware mit Genehmigung nicht unbedingt am Ziel. Müssen vielbefahrene Strecken genutzt werden und herrschen ein Begegnungsverbot oder andere Einschränkungen, bleiben oft nur wenige Nachtstunden an den Wochenenden, um einige Kilometer auf der Schiene zurückzulegen. Dann geht es wieder für einige Tage auf ein Abstellgleis. So kann ein Transport durchaus vier Wochen dauern. Clever weist darauf hin, dass verkehrsarme Zeiten zudem häufig auch für Baustellen oder Betriebsruhen genutzt würden, so dass immer weniger Zeitfenster für Schwertransporte zur Verfügung ständen.
Transportbegleitung
Weder die Polizei noch andere Begleitdienste müssen den Transport auf der Schiene eskortieren. Doch wenn beispielsweise Tragschnabelwagen eingesetzt werden, ist eine drei- bis vierköpfige Begleitmannschaft erforderlich, die die Strecke beobachtet und die Verschiebeeinrichtung des Wagens bei Engstellen – hier ist Schrittgeschwindigkeit und Abschaltung des Fahrdrahts vorgeschrieben – bedient. Sie fährt in einem speziellen Begleitwagen mit. Der Begleitwagen wird zudem als Abstandswagen zwischen dem Schwerwagen und der Lok eingesetzt, wenn die Gesamtzuglast auf eine größere Länge verteilt werden muss. Darüber hinaus müssen bestimmte Transporte zusätzlich von einem Mitarbeiter des Infrastrukturbetreibers wie DB Netz begleitet werden – stehen aber laut Jörg Barton, örtlicher Betriebsleiter der Bahn VEB, nicht jederzeit zur Verfügung.
Verkehrsträger werden kombiniert
In der Regel sind für einen Schwertransport auf der Schiene mehrere Verkehrsträger notwendig, denn selten geht es von einem ins nächste Anschlussgleis. Beim Einsatz von Tragschnabelwagen können teure Krane für die Umladung von Schiene auf Straße und umgekehrt entfallen: An geeigneten Umsetzstellen werden die Schnäbel samt Ladung mit Hydraulikstempeln angehoben, so dass die Schienendrehgestelle einfach gegen Straßentieflader getauscht werden können.
Lange Wunschliste
Was geschehen muss, um mehr Ladung auf die Schiene zu bringen, ist für die Befragten klar. Sie nennen unter anderem: Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Spezialgüterwagen, stärkere Vernetzung der Hauptverkehrsträger (trimodal) und Ausbau von Schwergutumschlagplätzen.
Dan Radloff, Geschäftsführer von Elba Logistik, ergänzt, dass Baustellenplanung und Streckenprüfung koordiniert werden müssen. VEB-Mann Barton wünscht sich eine bessere Abstimmung der einzelnen Regionalbereiche des Infrastrukturbetreibers DB Netz untereinander sowie digitale Simulationsmöglichkeiten bei den Infrastrukturunternehmen für schnellere Entscheidungen.
In die gleiche Richtung äußert sich Clever: Er plädiert für ein transparentes und schnelleres System, um vorab prüfen zu können, welche Abmessungen und Gewichte auf der Schiene genehmigungsfähig sind. Und: Die Laufzeiten müssten kürzer werden, damit mittelschwere Transporte sich von der Straße auf die Schiene verlagern ließen.
Die Schiene bei schockresistenten Schwergütern mit durchzukalkulieren, lohne sich aber allemal, meint Klaus Lutze, Head of Project Solutions bei VTG Rail Logistics.
500 t
können bestimmte Bahnwagen tragen.